Der deutsche Zweig von Reporter ohne Grenzen stellt ein neues Gesetz in Frage, das die Pressefreiheit gefährdet, sagt die Organisation. Das Gesetz gibt Geheimdiensten viel größere Freiheiten beim Einsatz von Spyware.
Reporter ohne Grenzen (RSF), die Organisation Whistleblower Network, und eine Reihe von investigativen Reportern gaben am Donnerstag bekannt, dass sie eine Reihe von dringenden Anträgen bei Gerichten in ganz Deutschland eingereicht haben, um Geheimdienste daran zu hindern, sogenannte „staatliche Trojanische Pferde“ einzusetzen “ – Spyware, die verschlüsselte Messaging-Dienste lesen kann – gegen Personen, die nicht direkt unter Verdacht stehen.
Der Bundestag hat im Juni ein Gesetz verabschiedet , das den staatlichen Sicherheitskräften im Rahmen einer Gesetzesreform weitreichende Befugnisse zum Einsatz der Spyware einräumt: Verfassungsschutz, Bundes- und Landesnachrichtendienste mit der Verfolgung von Extremisten in Deutschland, dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) und dem Bundesnachrichtendienst (BND), der sich auf ausländische Nachrichtendienste konzentriert.
Die im Juli in Kraft getretene Reform erlaubt es den Behörden, die offiziell als „Source Telecommunication Surveillance“ (Source-TKÜ) bekannte Spyware heimlich in Smartphones und Computern zu installieren und Nachrichten und Anrufe aufzuzeichnen, bevor das Gerät die Nachrichten senden kann auf verschlüsselten Diensten wie WhatsApp, Skype, Signal oder Threema.
Das neue Gesetz zwingt Internetprovider auch, den Behörden technische Unterstützung anzubieten, um sie bei der Installation der Spyware zu unterstützen.
„Angriff“ auf den Journalismus
Journalisten befürchten, dass sie durch den Einsatz der Spyware die Anonymität ihrer Quellen nicht mehr wahren können und bei Kontakt mit einer überwachten Person selbst überwacht werden könnten. RSF sagt, seine Arbeit sei durch das Gesetz gefährdet, weil es die Sicherheit ausländischer investigativer Journalisten und politischer Kontakte nicht mehr schützen könne.
„Dieses Gesetz ist ein Angriff auf den Schutz von Quellen im digitalen Raum“, sagte Deutschlands RSF-Chef Christian Mihr in einer am Donnerstag veröffentlichten Erklärung. „Was auf den ersten Blick wie eine Trivialität aussieht, kann für Journalisten, die an Ermittlungen arbeiten, enorme Konsequenzen haben.
„Wir gehen wieder einmal vor Gericht gegen ein Gesetz, das von Experten für verfassungswidrig erklärt wurde, aber dennoch voreilig und ohne Rücksicht auf die Folgen für den Journalismus und die Pressefreiheit in Deutschland verabschiedet wurde“, fügte er hinzu.
Laut RSF, das seit mehreren Monaten vor den inhärenten Gefahren der Reform warnt, würde die Spyware es Behörden ermöglichen, Daten und Dokumente auf jedem Gerät anzuzeigen und theoretisch sogar zu ändern und neue Dokumente auf diesen Geräten zu installieren.
„Was im analogen Leben selbstverständlich ist, dass Redaktionen nicht durchsucht werden können und Journalisten nicht gezwungen werden, ihre Quellen preiszugeben, muss im digitalen Leben neu erkämpft werden“, sagte Mihr.
Das Missbrauchspotenzial war ein Dauerthema in den Anhörungen der parlamentarischen Ausschüsse zur Reform, bei denen Rechtsprofessoren mehrere Warnungen aussprachen. Im Mai sagte Benjamin Rusteberg von der Universität Göttingen im Bundestag aus, dass die Neuregelung „unter Experten einstimmig als verfassungswidrig angesehen wird“.

„Dieses Gesetz ist ein Angriff auf den Quellenschutz im digitalen Raum“, sagt Deutschlands RSF-Chef Christian Mihr .
Regierung: Notwendige Maßnahme zur Bekämpfung des Extremismus
Bei der Vorlage des Gesetzes im Mai im Parlament argumentierte die Regierung, die Reform sei notwendig, weil Botendienste zu einer allgegenwärtigen Kommunikationsform geworden seien und „insbesondere wegen der aktuellen Ereignisse im Bereich des rechtsextremen Terrorismus“.
Die Reform ermöglichte auch eine viel stärkere Zusammenarbeit zwischen den Geheimdiensten, ein Problem, das die Ermittlungen in der Vergangenheit behindert hat. Die Regierung beharrte darauf, dass die neuen Regelungen den rechtlichen Anwendungsbereich der Telekommunikationsüberwachung nicht erweitern, sondern lediglich sicherstellen, „dass sich Täter durch die Wahl dieser Kommunikationsformen nicht den Ermittlungen entziehen können“.
Kritiker sagen jedoch, die Regierung könne nicht garantieren, dass Geheimdienstler die neue Spyware nicht verwenden, um ihren gesetzlichen Auftrag zu überschreiten. Die Kommunikationsforscher Mario Martini und Sarah Fröhlingsdorf schrieben in einem im Februar auf der digitalen Nachrichtenseite netzpolitik.org veröffentlichten Aufsatz, dass die Source-TKÜ-Software von Natur aus in der Lage sei, heimlich auf alle Daten eines Geräts zuzugreifen, obwohl Geheimdienstler es sind darf nur die Kommunikation überwachen.
Die Klagen von RSF und anderen verlangen eine neue Regelung, die die Überwachung von Journalisten als Mittel zur Ermittlung von Verdächtigen ausdrücklich verbietet.
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