
13 Millionen Euro: Wie Pharma-Anwälte mit Steuergeld über 1.000 Klagen von Corona-Impfgeschädigten abwehren
KARSTEN MONTAG, 9. April 2025, 3 Kommentare, PDFAm 11. November 2020 schloss die EU-Kommission mit Pfizer und Biontech Verträge über die Abnahme der zu diesem Zeitpunkt noch nicht zugelassenen Corona-mRNA-Präparate. Ähnliche Verträge wurden im gleichen Zeitraum auch mit den anderen Herstellern unterzeichnet. Bereits während der Verhandlungen war bekannt geworden, dass die Hersteller eine begrenzte Haftung forderten, falls die Präparate unerwartete Nebenwirkungen zeigen sollten. In den von der EU-Kommission veröffentlichten Verträgen sind die entsprechenden Passagen größtenteils geschwärzt. Mittlerweile sind jedoch vollständige Versionen aufgetaucht. So heißt es etwa im Vertrag mit Biontech/Pfizer unter Punkt I.12:
„Die Kommission erklärt im Namen der teilnehmenden Mitgliedstaaten, dass die Verwendung der (…) Impfstoffe unter epidemischen Bedingungen erfolgt (…) und (…) daher unter der alleinigen Verantwortung der teilnehmenden Mitgliedstaaten durchgeführt wird. Daher entschädigt jeder teilnehmende Mitgliedstaat den Auftragnehmer, seine verbundenen Unternehmen, Unterauftragnehmer, Lizenzgeber und Unterlizenznehmer sowie die leitenden Angestellten, Direktoren, Mitarbeiter und sonstigen Beauftragten und Vertreter jedes dieser Unternehmen (…) und hält sie schadlos gegen alle entstandenen Verbindlichkeiten, Abfindungen (…) und angemessenen direkten externen Rechtskosten, die bei der Abwehr von Ansprüchen Dritter (einschließlich angemessener Anwaltshonorare und sonstiger Auslagen) im Zusammenhang mit Schäden und Verlusten (…) entstehen, die sich aus der Verwendung und dem Einsatz der Impfstoffe im Hoheitsgebiet des betreffenden teilnehmenden Mitgliedstaates ergeben oder damit zusammenhängen.“
Eine Haftungsfreistellung der Hersteller ist lediglich ausgeschlossen, wenn Impfschäden durch „vorsätzlich und wissentlich begangene unerlaubte Handlungen mit dem Vorsatz, schädliche Auswirkungen zu verursachen“ oder durch einen „wesentlichen Verstoß gegen die Gute Herstellungspraxis“ hervorgerufen wurden, gemäß den Anforderungen der EU nach Titel IV der Richtlinie 2001/83/EG. Betroffene können zwar weiterhin auf Basis der Gefährdungshaftung nach Paragraf 84 des Arzneimittelgesetzes von den Herstellern Schadensersatz fordern. Allerdings haben die EU-Mitgliedsstaaten hierfür größtenteils die Haftung übernommen. Die gleichen Regierungen sind jedoch auch für die Zulassung der Präparate verantwortlich. Hierdurch ist ein schwerwiegender Interessenkonflikt entstanden. Der Staat hat keinerlei Anreiz, die Risiken der Produkte zu durchleuchten, im Gegenteil.
13,2 Millionen Euro für Anwälte in 1.118 Gerichtsverfahren
Auf eine Anfrage der BSW-Politikerin Jessica Tatti, ob die Bundesregierung plane, die Haftungsfreistellung für die Hersteller der COVID-19-Impfpräparate zu beenden und in welcher Höhe sie bislang Anwaltskosten für die Hersteller übernommen hat, antwortete das Bundesgesundheitsministerium (BMG) Anfang Februar:
„Mit Unterzeichnung der COVID-19-Impfstoffbeschaffungsverträge haben alle beteiligten Staaten, einschließlich der Bundesrepublik Deutschland, der jeweiligen Haftungsfreistellung zugestimmt. Sowohl auf Bundesebene als auch auf europäischer Ebene wird sichergestellt, dass die Hersteller ausschließlich zulässige und vertretbare Kosten gemäß der Haftungsfreistellung in den europäischen Impfstoffbeschaffungsverträgen ersetzt erhalten. Bisher sind durch die Bundesregierung entsprechende Auszahlungen in Höhe von 13,2 Millionen Euro brutto erfolgt.“
Multipolar wollte daraufhin vom BMG erfahren, nach welchen Kriterien die Zulässigkeit und Vertretbarkeit der Kosten geprüft werde, in welchen Fällen zu übernehmende Kosten nicht zulässig und vertretbar wären, ob bisher alle angefragten Kosten übernommen wurden und ob auch nationale Vereinbarungen zur Haftungsfreistellung getroffen worden sind. Der Sprecher des Ministers antwortete darauf, letzteres sei nicht der Fall. Die eingereichten Anwaltskosten würden „vom Zentrum für Pandemie-Impfstoffe und -Therapeutika (ZEPAI) beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Zusammenarbeit mit einer unabhängigen Rechtsanwaltskanzlei“ überprüft. Zurückgewiesen würden Kosten, die etwa „durch die Beauftragung zweier Kanzleien durch nur einen Hersteller, die Beauftragung privatärztlicher Gutachten im außergerichtlichen Verfahren oder Übersetzungskosten für ausländische Anwälte der beauftragten (internationalen) Kanzlei entstanden sind“. Und weiter:
„Mit Stand zum 12. Februar 2025 wurden Kosten im Zusammenhang mit insgesamt 1.118 Gerichtsverfahren, in denen Schadensersatz für Impfschäden geltend gemacht wird, übernommen. Hiervon sind 34 rechtskräftig abgeschlossen.“
Das in der Antwort erwähnte ZEPAI wurde im September 2021 beim PEI eingerichtet und ist seit Mai 2022 zuständig für die „Steuerung der Versorgung der Bevölkerung mit Pandemie-Impfstoffen“. Aufgabe des ZEPAI ist es unter anderem, jederzeit „verfügbare Impfstoffherstellungskapazitäten (Anlagen, Personal, Rohstoffe, technische Verbrauchsmaterialien)“ bereitzuhalten und „die Lieferketten für alle kritischen Zulieferprodukte“ sicherzustellen. Des Weiteren übernimmt die Behörde eine „operative und eine überwachende Funktion“ in der flächendeckenden Verteilung der mRNA-Präparate in Deutschland und überwacht „die Beschaffung, Lagerung und gegebenenfalls Verteilung von pandemierelevanten Therapeutika“. Zu diesem Zweck wurden 2022 mit den Herstellern Biontech, IDT Biologika und Wacker/Corden Pharma so genannte Pandemiebereitschaftsverträge mit einer Laufzeit von maximal acht Jahren abgeschlossen. Die Verträge decken jährliche Herstellungskapazitäten im dreistelligen Millionenbereich ab.
Eine Anfrage von Multipolar, welche Aufgaben das ZEPAI bei der Überprüfung der Anwaltskosten im Rahmen der Haftungsfreistellung der Hersteller übernimmt, welche Anwaltskanzlei an der Prüfung beteiligt ist und unter welchem Haushaltsposten die Erstattungen und Kosten dieser Kanzlei verbucht werden, beantwortete die Behörde nicht.
Anwaltshonorare: Das Doppelte des Mindestsatzes
Multipolar kontaktierte daraufhin Rechtsanwalt Tobias Ulbrich, der mit seiner Kanzlei „Rogert und Ulbrich“ circa 2.500 Mandanten vertritt, die Rechtsansprüche wegen Schäden durch die COVID-Präparate gegenüber Impfstoffherstellern und Versorgungsämtern geltend machen. Auf die Frage, ob die Anwälte der Hersteller aufgrund der staatlichen Finanzierung anders agieren, als dies ohne Haftungsfreistellung zu erwarten gewesen wäre, schildert Ulbrich, dass die Anwählte von Biontech und Moderna in der Regel mit zwei Anwälten zu Gerichtsterminen anreisen würden. Zu Vergleichen sei die Gegenseite generell nicht bereit.
Ulbrich weist darauf hin, dass bei 1.118 Fällen nach der im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) geregelten Mindestvergütung Anwaltskosten von schätzungsweise zwei bis drei Millionen Euro angefallen wären, nicht 13 Millionen. Er geht daher davon aus, dass die Anwälte der Hersteller nach Stundensatz bezahlt werden. Eine Stichprobe der bisher gefällten Urteile zeigt, dass die Anwaltsgebühren, wenn sie nach RVG abgerechnet würden, zwischen 2.800 und 8.600 Euro je Fall liegen und nicht – wie vom Bundesgesundheitsministerium finanziert – bei knapp 12.000 Euro je Fall. Auf Nachfrage von Multipolar zu den hohen Anwaltsgebühren antwortete das BMG nicht.
Fast alle Klagen abgewiesen, nur drei Teilurteile zugunsten der Geschädigten
Ulbrich erklärt des Weiteren, dass bisher noch kein einziges Verfahren zugunsten der Kläger ausgegangen sei. In circa 210 Verfahren wurden die Klagen abgewiesen. Lediglich in drei Fällen sei es zu einem Teilurteil gekommen: beim Landgericht Ravensburg, beim Oberlandesgericht Dresden und beim Oberlandesgericht Bamberg. Alle drei Urteile verpflichten die Hersteller, ihre Pharmakovigilanz-Daten hinsichtlich der ihnen vorgeworfenen Impfschäden offenzulegen und darzulegen, wie es zu den Schäden gekommen ist.
Aus Sicht Ulbrichs sind die Teilurteile bereits die Vorstufe des Endurteils zugunsten der Geschädigten, denn er geht davon aus, dass die Hersteller dem Auskunftsanspruch nicht nachkommen werden. Konkret nennt er einen Vortrag zum Schadpotential von Biontechs Präparat Comirnaty, zu dem der Hersteller anhand seiner Daten Stellung beziehen soll. Wie im Abgasskandal, in dem Volkswagen die Daten seiner mutmaßlichen Abschaltvorrichtung nicht offengelegt hat, dürften die Richter demnach bei ausbleibender Auskunft auch bei den Schadensersatzklagen gegen die Impfstoffhersteller zugunsten der Kläger entscheiden, so der Anwalt.
Doch nur in circa 30 Prozent der Verfahren würden die Gerichte überhaupt in die Beweisaufnahme gehen, so Ulbrich weiter. Diese Beweisaufnahmen seien „mehr oder weniger abhängig von den Sachverständigen“. Die Richter an den Landgerichten würden dazu neigen, Pharmakologen zur Beurteilung der Kausalität des Impfschadens und des Nutzen-Risiko-Verhältnisses der Präparate zu laden. Als Beispiele für derartige Sachverständige nannte er die Vizepräsidentin des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Julia Stingl, den Leiter der Abteilung Klinische Pharmakologie des Universitätsklinikums Tübingen, Klaus Mörike, sowie Gunther Hartmann, Professor für Klinische Pharmakologie am Universitätsklinikum der Universität Bonn und Gründer des biopharmazeutischen Unternehmens Rigontec.
Das BfArM ist in Deutschland für die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln, worunter auch Impfstoffe fallen, zuständig und dem BMG direkt unterstellt. Zudem ist das Institut im Ausschuss der Europäischen Arzneimittelagentur für Humanarzneimittel (CHMP), vertreten. Das CHMP bereitet die Bewertungen der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) vor und beschäftigt sich mit der Zulassung und der Risikobewertung von Arzneimitteln. Klaus Mörike hat in der Corona-Zeit für die COVID-19-Impfung von Schwangeren geworben. Und Rigontec wurde 2017 für über 400 Millionen Euro von dem Biontech-Zulieferer Merck übernommen. Zudem habe Hartmann an Aufsätzen mitgewirkt, in denen Pfizer eine Rolle gespielt habe, wie Ulbrich erläutert.
Arzneimittelgesetz „ins Gegenteil verkehrt“
Der Rechtsanwalt, der einen großen Teil der mutmaßlich Impfgeschädigten in Deutschland vor Gericht vertritt, ist der Auffassung, dass die Gerichte, die ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis aufgrund von Zulassungsentscheidungen oder Auskünften von Gremien im Zulassungsverfahren annehmen und den Vortrag des Gegenteils nicht zuließen, den Gesetzestext des Arzneimittelgesetzes in sein Gegenteil verkehren würden. Allerdings seien die divergierenden Rechtsauffassungen bisher noch nicht höchstrichterlich geklärt und auch die meisten Oberlandesgerichte hätten sich dazu noch nicht positioniert.
So seien die Schadensersatzansprüche der Impfgeschädigten in zwei wesentlichen Abschnitten des Arzneimittelgesetzes festgelegt. In Paragraf 25, Absatz 10 heißt es: „Die Zulassung lässt die zivil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit des pharmazeutischen Unternehmers unberührt“. Und in Paragraf 84, Absatz 1: „Die Ersatzpflicht besteht nur, wenn 1. das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen oder 2. der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist“. [Hervorhebungen durch den Verfasser]
Laut Ulbrich würden die Gerichte argumentieren, dass zwar in den bedingten und unbedingten Zulassungen der Impfpräparate überhaupt nichts von einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis stehe, aber nach Paragraf 25 Absatz 2 Satz 5 Arzneimittelgesetz müsse ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis ja vorliegen, ansonsten hätte es keine Zulassung gegeben. Dies sei die erste „rechtliche Fiktion“, so der Rechtsanwalt. Nicht die tatsächliche Prüfung werde in den Verfahren zum Gegenstand gemacht, sondern sie werde durch eine Rechtsfiktion ersetzt.
Diese werde durch eine weitere Fiktion gesteigert. Denn die Richter würden die Unterausschüsse der EMA wie das CHMP und den Ausschuss für Risikobewertung im Bereich der Pharmakovigilanz (PRAC) sowie das dem BMG unterstellte PEI zum „Wissenschaftsolymp“ emporheben, um das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis der COVID-19-Impfpräparate als erwiesen anzusehen. Am Beispiel eines Urteils des Oberlandesgerichts Koblenz verdeutlicht Ulbrich, wie der Gesetzestext aus seiner Sicht in sein Gegenteil verdreht wird. So heißt es im Urteil:
„Die Einschätzungen der genannten medizinisch-pharmazeutischen und damit wissenschaftlichen Fachgremien zur Arzneimittelsicherheit stehen einer sachverständigen Begutachtung gleich, da bereits die gesetzlichen Vorgaben für deren Besetzung sie als sachverständige Stellen qualifizieren. (…) Vor dem erläuterten Hintergrund des maximalen Fachwissens in den Expertengremien ist nicht zu erwarten, dass die Begutachtung durch einen einzelnen Virologen, Pharmakologen oder sonstigen Wissenschaftler als Sachverständigen im hiesigen Einzelfall zu anderen Erkenntnissen führen würde (…). Es wäre lebensfremd anzunehmen, ein einzelner Sachverständiger könnte über weitere Quellen, eine größere Datengrundlage und umfangreicheres Wissen verfügen als die aus jeweils mindestens 27 Personen bestehenden genannten Expertengremien.“
Fast alle Mitglieder des CHMP unterstehen jedoch der Weisungsbefugnis der Regierungen ihrer Länder – die zugleich Vertriebspartner der Impfstoffhersteller sind und letztendlich für die Schäden haften. Da alle Vertragsstaaten gemeinsam für zweistellige Milliardenbeträge Impfstoffe bestellten, ziehe diese Beschaffungsentscheidung und Bezahlung eine Vorfestlegung für das Prüfergebnis nach sich, argumentiert Ulbrich.
Eine unabhängige Überprüfung der Einschätzungen dieser Institutionen, die sich in einem Interessenkonflikt befinden, würde im Urteil nicht berücksichtigt, obwohl dies im Arzneimittelgesetz festgelegt sei. Denn die „Erkenntnisse der Wissenschaft“ bezögen sich auf die gesamte peer-reviewte Literatur zu diesem Thema und „gerade nicht“ auf die Expertise der Zulassungsstellen. Damit werde das Gesetz „um 180 Grad ins Gegenteil“ verkehrt – und zwar, so der Rechtsanwalt, „mit einer absoluten Schamlosigkeit“ allen Geschädigten gegenüber. Alle Landgerichte, die Klagen der Geschädigten auf diese Art und Weise abgewiesen haben, würden diesen „Wahnsinn“ mitmachen – ein Vorgehen, das jedoch dem Maßstab widerspreche, den das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein in einem 2013 gefällten Urteil gesetzt hätte.
Vorsatz der Hersteller?
Laut Ulbrich bestehen erhebliche Zweifel, ob die Präparate überhaupt ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis aufweisen. So würde ein peer-reviewter Aufsatz im „International Journal of Vaccine Theory, Practice, and Research“ ein negatives Verhältnis bescheinigen. Ferner verweist er auf eine Re-Analyse der veröffentlichten Daten aus den Zulassungsstudien der Hersteller. Die Analyse wird von einem der Autoren – Robert Rockenfeller von der Universität Koblenz-Landau – in einem Vortrag näher erläutert. Daraus geht hervor, dass beim Präparat von Biontech 25 mal mehr schwere Impfnebenwirkungen aufgetreten seien, als schwere COVID-19-Krankheitsverläufe verhindert wurden. Das Nutzen-Risiko-Verhältnis sei also deutlich negativ. Bei Moderna liege das Verhältnis bei eins. Das bedeute, so Rockenfeller, dass ungefähr genauso viele schwere Impfnebenwirkungen aufgetreten sind, wie schwere Krankheitsverläufe verhindert wurden.
Rechtsanwalt Ulbrich geht daher davon aus, dass Biontech bereits vor der massenhaften Verabreichung Kenntnis vom negativen Nutzen-Risiko-Verhältnis hatte. Dies würde einen „bedingten Vorsatz“ bedeuten. Biontech habe auch als einziger Hersteller im Vorkaufvertrag mit der EU eine Haftung bei Vorsatz ausgeschlossen. Lediglich bei dem absichtlichem Vorsatz, schädliche Auswirkungen zu verursachen, sei das Unternehmen haftbar (siehe Punk I.12.3 des Vorkaufvertrags).
Gegen die Haftungsfreistellung für vorsätzliches Handeln würde der so genannte Ordre public sprechen, den es in allen europäischen Staaten gebe. Letztendlich sei dies das Gleiche, als wenn man in eine Allgemeine Geschäftsbedingung einen Passus setze, wonach selbst bei einer sittenwidrigen Schädigung kein Anspruch auf Ersatz bestehe, so Ulbrich. Aufgrund der verhandelten Haftungsfreistellung für Vorsatz könne man dem Hersteller Biontech unterstellen, von dem Schädigungspotenzial gewusst zu haben.
Ulbrich weist auch darauf hin, dass eine generelle Haftungsfreistellung den Artikeln 1 und 12 der EU-Richtlinie 85/374/EWG widerspricht. Dies sei auch in einer Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union (EuG) deutlich gemacht worden. Dort findet sich unter Randnummer 151 die Feststellung:
„Vorab ist darauf hinzuweisen, dass nach den Art. 1 und 12 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (…) der Hersteller eines Produkts für den Schaden haftet, der durch einen Fehler dieses Produkts verursacht worden ist und seine Haftung gegenüber dem Geschädigten nicht durch eine die Haftung begrenzende oder von der Haftung befreiende Klausel begrenzt oder ausgeschlossen werden kann. Wie die Kommission in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, konnten daher weder die Kommission noch die Mitgliedstaaten mangels einer Änderung der Richtlinie 85/374 von deren Bestimmungen abweichen.“
Was sagen die Parteien im Bundestag?
Multipolar hat bei den Parteien im Bundestag nachgefragt, ob sie die Haftungsfreistellung für richtig halten, wie sie den Interessenkonflikt der Bundesregierung bewerten und was sie konkret unternehmen wollen, um Impfgeschädigte zu unterstützen. Da die bisherigen gesundheitspolitischen Sprecher von SPD und Linke in der aktuellen Legislaturperiode nicht mehr im Bundestag vertreten sind, hat Multipolar die beiden Parteien nach einem neuen Ansprechpartner gefragt. Nur die Fraktion der Linken hat geantwortet, dass ein neuer Sprecher noch nicht gewählt sei. Von den übrigen Fraktionen hat lediglich der gesundheitspolitische Sprecher der AfD, Martin Sichert, Stellung genommen.
Sichert vertritt den Standpunkt, dass die Haftungsfreistellung vertraglich nie hätte vereinbart werden dürfen. Dass der Staat für Schäden bei einem experimentellen Präparat aufkomme, sei „hochgradig problematisch“, weil so staatliche Stellen ein besonderes Interesse daran hätten, „Schäden zu vertuschen oder herunterzuspielen“. Da der Staat die Zulassung prüfe und zugleich für Schäden aufkommen müsse, hätte dies eigentlich dazu führen müssen, dass keine staatliche Stelle in Verfahren über Impfschäden mehr angehört werden dürfe, da diese „betroffen vom Ausgang und damit befangen“ seien. Dass Zulassung und Vertrieb aus einer Hand kommen, bedeute, „dass es keinen Schutz der Patienten mehr gibt“. Das müsse dringend geändert werden, indem die „Prüfinstanzen unabhängig von der Regierung“ werden.
Die Zahlungen an die Anwälte seien hoch, doch das passe zur Coronazeit. Impf-Ärzte hätten sich genauso „eine goldene Nase“ verdienen können wie Betreiber von Testzentren. Biontech habe 2021 und 2022 jeweils über zehn Milliarden Euro Gewinn gemacht – auf Kosten der Steuerzahler. Die Botschaft der Regierung dahinter sei laut Sichert eindeutig: Wer willfährig mitmache und die Regierung unterstütze, würde dafür „mit Steuerzahlergeld reich“. Des Weiteren sieht der AfD-Politiker das Hauptproblem bei den Gerichten, die zwar wüssten, dass RKI und PEI weisungsgebunden dem Gesundheitsminister unterstehen, aber so täten, als wären sie unabhängige Behörden. Es sei „der wohl größte Justizskandal“ in der Geschichte der Bundesrepublik, dass hunderte Gerichte ihre Urteile auf Basis politisch motivierter Einschätzungen von PEI und RKI oder von Sachverständigen der Regierung gefällt hätten, ohne diese als einseitig parteiisch anzusehen.
Sichert forderte angesichts der „hunderttausenden Geschädigten durch die Corona-Impfungen“ eine Beweislastumkehr, so dass im Zweifelsfall nachgewiesen werden müsse, dass kein Impfschaden vorliegt. Nur so bekämen die Impfgeschädigten schnell Anspruch auf Entschädigungen. Zudem müssten die Kosten der Behandlungen der Impfgeschädigten vom Staat übernommen werden. Denn der Staat habe die Menschen mit Berufsverboten oder Regelungen wie 2G und 3G massiv zur Injektion mit den Präparaten genötigt, so der Politiker.
CDU, SPD und Grüne äußerten sich auf Nachfrage gegenüber Multipolar nicht.