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69 Tote, Zerstörung, Milliardenschäden: „Wie hält Ihre Stadt das aus, Herr Bürgermeister?“

69 Tote, Zerstörung, Milliardenschäden: „Wie hält Ihre Stadt das aus, Herr Bürgermeister?“
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Wohl keine Stadt wurde so hart von der Flutkatastrophe im Juli getroffen wie Bad Neuenahr-Ahrweiler. Bis heute sind die gigantischen Zerstörungen sichtbar. Viele Einwohner leiden noch immer, trauern um Angehörige, sorgen sich um die Zukunft. Auf FOCUS Online macht ihnen Bürgermeister Guido Orthen (CDU) Mut und verspricht: „Die Stadt wird wieder lebendig und bunt sein!“

Bei der Flutkatastrophe im Juli verloren allein im Ahrtal 134 Menschen ihr Leben, mehr als die Hälfte von ihnen stammte aus Bad Neuenahr-Ahrweiler. Die bei Touristen aus ganz Deutschland beliebte Kreisstadt mit zuvor 29.000 Einwohnern wurde massiv zerstört, nahezu jeder war von dem Unglück betroffen. Bis heute sind die tiefen Wunden sichtbar, die Wasser, Schlamm und Treibgut ins Stadtbild gerissen haben.

FOCUS Online sprach mit Bürgermeister Guido Orthen (CDU) über seine traumatisierte Stadt und die Zukunftsangst vieler Menschen gerade vor dem nahenden Winter, aber auch über Fortschritte beim Wiederaufbau, Gemeinschaftsgefühl und Optimismus.

Die Flut hat in Bad Neuenahr-Ahrweiler massivste Zerstörungen angerichtet, enorme materielle Schäden verursacht und 69 Menschen das Leben gekostet. Wie hält Ihre Stadt und wie halten Sie persönlich eine solche Katastrophe aus?

Guido Orthen: Indem wir uns jeden Tag vor Augen halten, was wir gemeinsam schon alles geschafft haben – und so mit viel Mut und Zuversicht den Wiederaufbau vorantreiben.

Wie schaffen Sie es als Bürgermeister, dass die Menschen angesichts des Leids und der Not nicht resignieren, nicht aufgeben, nicht dauerhaft wegziehen?

Orthen: Das schaffen wir nur alle gemeinsam. Es gibt natürlich auch Menschen, die aufgrund der Flutkatastrophe das Ahrtal verlassen haben oder vorhaben, es zu verlassen. Aber das ist nur ein kleiner Teil. Alle anderen kämpfen hier zusammen dafür, die Stadt wieder aufzubauen. Resignieren ist für uns keine Option!

Sie versprechen Ihren Bürgern auf Plakaten: „Unsere Stadt wird wieder bunt“. Woher nehmen Sie den Optimismus, die Zuversicht?

Orthen: Diese Kampagne ist kein Versprechen, sie ist ein gemeinsames Zeichen der Hoffnung. Viele Bürgerinnen und Bürger beteiligen sich und hängen die Kampagnenmotive in Form von Plakaten in ihre Fenster, ihre Schaufenster oder an ihre Zäune. Damit symbolisieren wir gemeinsam, dass es weitergeht und die Stadt wieder aufgebaut wird.Unsere Stadt wird wieder bunt: Banner im zerstörten Bad Neuenahr-Ahrweiler.Göran Schattauer / FOL „Unsere Stadt wird wieder bunt“: Banner im zerstörten Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Was macht Sie da so sicher? Wer viereinhalb Monate nach der Flut durch Ihre Stadt läuft, sieht noch immer zerstörte Brücken, Häuser und Straßen, riesige Müllberge und vernagelte Geschäfte.

Orthen: Es gibt jeden Tag Fortschritte: So haben wir in der vergangenen Woche unsere so genannten Pop-up-Malls, also provisorische Einkaufszentren für Einzelhandel, Gastronomie- und Dienstleistung, eröffnet. Damit konnten wir sowohl dem Einzelhandel in unserer Stadt eine Perspektive bieten als auch neue Begegnungsorte für unsere Bürgerinnen und Bürger schaffen. In dieser Woche verteilen wir 300.000 Blumenzwiebeln in der Stadt, es wird mit Hochdruck an neuen Spiel- und Begegnungsstätten wie unseren „Wintertreffpunkten“ gearbeitet.

Über Advents- und Weihnachtszeit „etwas Ruhe finden“

Welche Botschaft haben Sie an Ihre Mitbürger auch angesichts der bevorstehenden harten Wintermonate?

Orthen: Unter normalen Umständen würden wir uns auf eine ruhige und besinnliche Advents- und Weihnachtszeit freuen. Doch der Großteil von uns ist weiterhin mit dem Wiederaufbau beschäftigt – und tatsächlich wird uns dieser noch über eine lange Zeit begleiten. Ich hoffe trotzdem, dass wir alle zumindest über die Feiertage die Gelegenheit haben, etwas Ruhe zu finden und Kraft zu tanken. Und mit Blick auf das neue Jahr kann ich nur sagen, dass dieses ganz im Zeichen einer starken Zukunftsperspektive für unsere Stadt stehen wird.

Wie schätzen Sie die aktuelle Stimmung der Menschen in Ihrer Stadt ein? Was sind die größten Sorgen und Probleme?

Orthen: Die Menschen hier sind jetzt vor allem mit dem Wiederaufbau beschäftigt, viele mussten ihr Zuhause verlassen und leben vorübergehend in Provisorien, teils weit weg von der Stadt. Trotzdem muss in diesen Familien der ganz normale Alltag weitergehen, die Arbeit, die Schule, das soziale Leben. Das ist eine tägliche Herausforderung und Belastung.Verwüstet: Bad Neuenahr-Ahrweiler nach der Flut Mitte Juli 2021.Thomas Frey/dpa Verwüstet: Bad Neuenahr-Ahrweiler nach der Flut Mitte Juli 2021.

Bei manchen ist immer noch nicht klar, ob und wann sie in ihr altes Haus oder ihre ehemalige Wohnung zurückkehren. Auch die Suche nach dauerhaftem Wohnraum ist ein Problem – weil viele Provisorien zu klein sind oder nur vorübergehend zur Verfügung stehen. Hinzu kommen die vielen psychischen Traumata durch die Flutnacht, deren Aufarbeitung ja auch ein langer Weg ist und bei vielen noch gar nicht begonnen hat.

Bürgermeister Orthen: 1,6 Milliarden Euro Schäden in Stadt

Wie viele Menschen Ihrer Stadt haben die Folgen der Flut direkt zu spüren bekommen?

Orthen: Die Flut hat alleine in unserer Stadt etwa 18.000 Bürgerinnen und Bürger in ihren Wohnungen oder ihren Häusern direkt getroffen. Mindestens ein Viertel der betroffenen Gebäude sind zumindest vorübergehend unbewohnbar geworden. Bei der Stadt haben bislang 248 Personen einen Unterbringungsbedarf in Notunterkünften angemeldet. Diese Zahl spiegelt aber nur einen Bruchteil der Betroffenheit. Die meisten Menschen haben ohne Zutun des Staates eine Zwischenunterkunft, etwa bei Freunden, Familienmitgliedern oder in Ferienwohnungen außerhalb der Stadt gefunden.Helfer begleiten eine Frau aus den Trümmern in Bad Neuenahr-Ahrweiler.Lena Mucha/Johanniter Unfall Hilfe Helfer begleiten eine Frau aus den Trümmern in Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Werden viele Flut-Geschädigte die Stadt dauerhaft verlassen?

Orthen: Ungefähr 1500 Bürgerinnen und Bürger haben bislang einen neuen Wohnsitz gemeldet – ob dieser nur vorübergehend ist oder endgültig, ist jedoch nicht bekannt. Langfristig gehen wir jedenfalls nicht davon aus, dass die Bevölkerungszahl in Bad Neuenahr-Ahrweiler niedriger sein wird als vor der Flut.

Wie hoch sind die materiellen Schäden durch die Flut in ihrer Stadt insgesamt?

Orthen: Wir schätzen den Schaden an der kommunalen Infrastruktur auf rund 1,6 Milliarden Euro. Die vollständige Erfassung der Schäden läuft derzeit. Bis Ende Januar hoffen wir, ein wirklich aussagekräftiges Gesamtbild zu haben und auch die Schadenshöhe belastbarer zu beziffern.

„Wir sind alle sehr dankbar für die großzügigen Spenden“

Welche finanziellen Mittel stehen Ihnen für den Wiederaufbau zur Verfügung?

Orthen: Die gesamten Kosten des Wiederaufbaus werden derzeit in einem umfangreichen Maßnahmenplan ermittelt und sollen dann zu 100 Prozent aus dem 30 Milliarden-Euro-Wiederaufbaufonds des Bundes und der Länder bezahlt werden.Flut-Schrott, darunter Waschmaschinen, in Bad Neuenahr-Ahrweiler.dpa Flut-Schrott, darunter Waschmaschinen, in Bad Neuenahr-Ahrweiler.

Und was ist mit den Spenden aus allen Teilen Deutschlands? Wofür wird das Geld eingesetzt?

Orthen: Wir sind alle sehr dankbar für die großzügigen Spenden, mit deren Hilfe vor Ort Perspektiven geschaffen werden können. Mit Einzel- und Großspenden können wir sowohl Betroffene direkt unterstützen als auch viele Projekte umsetzen, die den Menschen in den Wochen und Monaten nach der Katastrophe Stütze waren und sind. Immer noch fließen täglich Spendengelder über die unterschiedlichen Hilfsorganisationen, Spendenkonten und Kooperationspartner ins Tal. Daher ist eine genaue Bezifferung schwierig. Wir schätzen aber, dass das Ahrtal mit Spenden im dreistelligen Millionenbereich unterstützt wird.

306 Betriebe von Flut betroffen – „die meisten machen weiter“

Wie viele Unternehmen Ihrer Stadt – vom kleinen Imbiss bis zur mittelständischen Firma – mussten aufgrund der Flutschäden aufgeben?

Orthen: In unserer Stadt sind von 388 Mitgliedsunternehmen der Handwerkskammer 306 Betriebe betroffen, teils an mehreren Standorten. Von den 800 im gesamten Ahrtal betroffenen IHK-Unternehmen haben ein Großteil ihren Sitz in unserer Stadt. Traditionell in Flussnähe gelegen, wurden mehrere Kliniken sowie etliche Betriebe aus dem Tourismusbereich und der Gastronomie, des Einzelhandels und einige Dienstleister zerstört.

Die betroffenen Unternehmen haben unterschiedliche Lösungsansätze, viele sind immer noch im Entscheidungsprozess. Die meisten werden in ihre alte Gewerbefläche zurück gehen, sobald diese wieder beziehbar ist. Andere haben bereits alternative Geschäftsmodelle entwickelt oder bieten ihre Leistungen zumindest vorübergehend woanders an.

Vereinzelt wissen wir auch von Gewerbetreibenden, die ihr Geschäft nicht mehr aufmachen möchten. Die allermeisten Betriebe machen aber weiter. Für eine abschließende Statistik ist es jedoch noch zu früh.

Angesichts des nahenden Winters: Müssen Menschen in Ihrer Stadt frieren, weil sie noch keine Heizungen haben? Was sind die größten Herausforderungen für die kommenden kalten Monate?

Orthen: Die Versorgung mit Strom und Gas hatte von Beginn an Priorität. Voraussichtlich Ende November sind alle Haushalte wieder mit Gas versorgt – das bedeutet aber natürlich nicht, dass die Wärmeversorgung damit steht. Damit die Heizungen wieder funktionieren, müssen die Hausinstallationen gerichtet werden. Hier bekommen wir von vielen Seiten Unterstützung – Heizungsbauer aus ganz Deutschland sind im Tal, um teils spendenfinanzierte schnelle Hilfe zu leisten. Es werden kostenlos Wärmepumpen und Einraumheizungen verteilt und von Freiwilligen eingebaut. Auch die Energieagentur Rheinland-Pfalz unterstützt.

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Herzlich Wilkommen auf unsere neue Webseite !

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