Überhastet steigt Deutschland aus der Atomenergie aus. Nun leidet die Ampelkoalition unter der Fehlentscheidung von Angela Merkel. Denn die Bundesrepublik ist in Europa isoliert.
Leider war ich erst einmal in meinem Leben in Finnland, nur für einen Tag in Helsinki, auf Recherche für eine Geschichte über den Niedergang von Nokia. Aber es hat gereicht, um einen angenehmen Eindruck von diesem Land zu bekommen. Wälder, Wasser, Weiten, und ein tolles Licht dazu.
Finnland ist ungefähr so groß wie Deutschland, aber pro Quadratkilometer leben dort nur 16,4 Einwohner im Vergleich zu 232 in der Bundesrepublik. Dazu eine Küste von über 1.000 Kilometern, die Küstenlinie beträgt sogar 4.600 Kilometer. Der Wind bläst im Durchschnitt mit 9 bis 9,5 Meter pro Sekunde, mehr als in Deutschland. Es ist etwas kühler in Finnland, aber Regen- und Sonnentage halten sich mit Deutschland in etwa die Waage.
Ideale Bedingungen für Wind und Wasserkraft. Menschenleere Weiten, Platz für Windräder, dort, wie sie kaum einer sieht und sie keinen stören. 52 Prozent immerhin betrug 2020 auch der Anteil der erneuerbaren Energien beim nordischen Nachbarn. Davon vor allem Wasser und etwas weniger Wind, der Rest Holz.
Finnland hat auch an die Endlagerung gedacht
Und trotzdem baut Finnland zurzeit neue Atomkraftwerke, Druckwasserreaktoren. Weil es auch bis 2030, wie Deutschland, endgültig von der Kohle weg sein will und bis 2035 klimaneutral. Und die Finnen beschlossen haben, dass sie trotz vergleichsweise paradiesischer Bedingungen für Wasser- und Windkraft das eben ohne Kernkraft nicht schaffen. Klugerweise haben sie auch gleich ans Ende gedacht. Der Standort für ein sicheres Endlager ist gefunden und von der Bevölkerung akzeptiert. Bis 2025 soll es fertig sein.
Deutschland hat sich hingegen in einem landestypischen Anfall von überschießendem Idealismus dem doppelten Ausstieg verschrieben. Raus aus der Kohle und raus aus der Kernkraft. Während anderswo neue Reaktoren gebaut werden, gehen hier dieses Jahr die letzten sechs verbliebenen vom Netz. Zum Jahreswechsel waren es bereits drei davon. Angela Merkel hatte da nochmals den Booster eingeschaltet.
Erst hatte sie den rot-grünen Atomausstieg zurückgenommen beziehungsweise gestreckt, dann, als sie sah, dass das in dem ihr mental unbekannten Westen der Republik nicht gut ankam, anlässlich des Tsunamis und der daraus resultierenden Havarie des Kraftwerks von Fukushima abrupt beendet. „Angela Merkel kam Fukushima gerade recht“, sagte mir damals unvergessen Klaus Töpfer, die CDU-Umwelt-Ikone. Ihn machte die Kanzlerin zum Vorsitzenden einer einschlägigen Kommission.
Niemand reitet bei der deutschen Energiepolitik mit
Vorreiter wollte Deutschland damit sein. Das Problem: Es reitet keiner mit. In der Europäischen Union hat es die neue Bundesregierung über den Jahreswechsel mit einem politischen Atomschlag vor allem des Nachbarn Frankreich zu tun bekommen. Dessen Präsident Emmanuel Macron ist die treibende Kraft hinter einem Plan, dass Kernkraft ebenso wie Gas zu den grünen, den guten Energien gerechnet wird. Und damit in den Genuss von Investitionen im Zuge des Green Deal, den die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen beherzt ausgerufen hat.
Dahinter stecken eigennützige Motive. Frankreich besitzt in Europa die am weitesten entwickelte Expertise in der Nuklearindustrie. Das geht noch auf Charles de Gaulle zurück. Und hat seine Ausprägung auch darin, dass nach dem Ausscheiden Großbritanniens aus der EU Frankreich die einzige verbliebene militärische Atommacht des Bündnisses ist.
Atommüll ins All schießen
Aber es ist auch schlicht vernünftig. Unbestreitbar ist die Kernenergie eine in Emissionshinsicht saubere Energie. Zwar hinterlässt sie fast ewig strahlenden gefährlichen Müll. Aber das Entsorgungsproblem ist lösbar. Auf dieser Erde oder woanders. Bevor man Milliardäre für Unsummen auf dekadente Vergnügungsflüge ins All schickt, sollte man vielleicht lieber darüber nachdenken, diese CO2-Emissionen solcher Weltraumflüge in Kauf zu nehmen dafür, dass man die Brennstäbe auf einen Planeten schießt, auf dem garantiert nie Leben war und auch garantiert nie welches sein wird. Man muss deshalb Atomkraft wahrlich nicht glorifizieren. Aber man sollte sie als Brückentechnologie nutzen, bis sich die Technologien im erneuerbaren Bereich weiterentwickelt haben werden.
So aber blickt der grüblerische und vernunftbegabte neue Fachminister für diese Frage auf eine gähnende Energielücke, die vor ihm klafft und sich immer weiter auftut – je mehr Atomkraftwerke abgeschaltet und E-Autos angemeldet werden. Tendenz stark steigend, was ja gut ist.
Die beiden größten Fehler der Kanzlerin
Fast 2.000 Windräder mit ihren immer mächtiger werdenden Rotoren muss Habeck in Deutschland jedes Jahr bauen lassen, um das Land 2030 zu 80 Prozent auf Erneuerbare umgestellt zu haben. 31.000 dieser stählernen Riesen standen in Deutschland im Jahr 2021 bereits. Mehr als die Hälfte zusätzlich würden die fast 20.000 zusätzlich benötigten bis 2030 also bedeuten.
Was das heißt, mag man sich bei einer Autofahrt etwa auf der A9 bildlich vor Augen führen. Mal zum Fenster rausgeschaut auf der Höhe der Raststätte Köckern zwischen Leipzig und Dessau? Klar, man kann sagen: nichts wie weg hier. Und: ist eh eine nicht besonders attraktive Gegend. Aber die Menschen, die dort leben, haben diesen gigantischen Stangenwald jeden Tag vor der Haustür und im Blickfeld.
Atommüll strahlt sehr lange. Das politische Erbe von Angela Merkel auch. Der überhastete Atomausstieg nach Fukushima war eine der beiden eklatantesten, impulsgesteuerten Fehlleistungen ihrer Amtszeit. So wie ihre Flüchtlingspolitik. Beide werden noch über Jahrzehnte unselig nachwirken. Die Effekte stellen sich erst jetzt allmählich ein. Sie überdauern ihre Amtszeit für Jahrzehnte.
Und die beiden Fehler greifen in ihren politischen Folgen im Bündnis unselig ineinander. Beide Male hat Merkel in der EU einen Alleingang hingelegt. Weder in der einen noch in der anderen Sache folgte ihr die Mehrheit der EU-Mitglieder. Und jetzt ist die Zeit fürs Rückspiel. Die Reihen haben sich geschlossen: vom Ungarn Viktor Orbán über Mario Draghi in Italien bis zu Emmanuel Macron. Es nicht mehr so zu machen, wie es Deutschland vorgegeben hat. Sondern die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Mit dem schroffen Atomausstieg hat sich Deutschland nicht nur selbst geschadet, sondern auch seine Position in der Europäischen Union nachhaltig geschwächt. Die neue Regierung bekommt das jetzt zu spüren. Es geht hier um mehr als die künftige Energieversorgung auf diesem Kontinent. Ein neues Machtgefüge etabliert sich da gerade. Eines, in dem Deutschland weniger zu melden hat. Zahlmeister darf es gerne bleiben. Lehrmeister nicht mehr.