Am Freitag hat ein Londoner Gericht geurteilt, dass Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA ausgelierfert werden darf. Ein UN-Berichterstatter kritisiert das Urteil scharf.
Darum gehts
- Die USA fordern die Auslieferung des Wikileaks-Gründers Julian Assange.
- Ein Londoner Gericht hat am Freitag entschieden, dass Assange ausgeliefert werden darf.
- Der 50-jährige Assange sitzt in einem Hochsicherheitsgefängnis und soll psychisch schwer angeschlagen sein.
Im Rechtsstreit um die von den USA geforderte Auslieferung des Wikileaks-Gründers Julian Assange hat ein Berufungsgericht in London am Freitag die Ablehnung des US-Auslieferungsantrags für Assange gekippt. Das teilte ein Richter am Londoner High Court mit. Der Wikileaks-Gründer muss nun damit rechnen, doch noch an die Vereinigten Staaten ausgeliefert zu werden.
Ein britisches Gericht hatte Anfang des Jahres die Auslieferung des 50-Jährigen unter Berücksichtigung seines psychischen und gesundheitlichen Zustands und der zu erwartenden Haftbedingungen in den USA untersagt. Die USA hatten das Urteil angefochten, das Assanges Auslieferung unter Verweis auf ein hohes Suizidrisiko verboten hatte.
«Man will ein Exempel an Assange statuieren»
Der unabhängige Berichterstatter der Vereinten Nationen für Folter hat das Urteil scharf kritisiert. «Dies ist ein Armutszeugnis für die britische Justiz», sagte Nils Melzer am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. «Man kann über Assange denken, was man will, aber er ist nicht in einem Zustand, in dem man ihn ausliefern kann.» Melzer sprach von einem «politisch motivierten Urteil».
Der Londoner High Court hat ein früheres Urteil gekippt, wonach Assange aus Sorge um seine Gesundheit und die zu erwartenden Haftbedingungen in den USA nicht ausgeliefert werden sollte. «Man will ein Exempel an ihm statuieren», sagte Melzer. Es solle andere abschrecken, jemals wie Assange geheime Regierungsdokumente zu veröffentlichen.
Melzer kritisierte die «westliche Sicherheitskoalition». «Da würde ich auch Deutschland zurechnen», sagte er. «Sie alle wollen Assange nicht auf freiem Fuss sehen, weil sie das Business-Modell der Geheimhaltung schützen wollen.» Melzer hat Assange zuletzt im Mai 2019 persönlich im Gefängnis in London gesehen. Er habe aber Kontakt zu seinem engen Umfeld. Assange sei in Isolation, die auf so lange Zeit fast jeden breche. Er sei mit Medikamenten stabilisiert, aber in sehr labilem Gesundheitszustand. Es sei grotesk, dass Richter und Anwälte darüber verhandelten, ob Assange einem Verfahren vor einem geheimen Gericht in den USA gewachsen sei, während er selbst gesundheitlich nicht in der Lage war, der Anhörung zuzuhören. «Hier hat eine Entmenschlichung stattgefunden», sagte Melzer.
Amnesty International spricht von einer «Justzifarce»
Der Europa-Direktor von Amnesty International, Nils Muižnieks, kommentierte den Entscheid des Berufungsgerichts in London, das Auslieferungsverbot von Julian Assange aufzuheben: «Dies ist eine Justizfarce. Indem der High Court der Berufung stattgegeben hat, akzeptiert er die zutiefst unzureichenden diplomatischen Zusicherungen der USA, dass Assange nicht in Einzelhaft in einem Hochsicherheitsgefängnis festgehalten wird. Sie sind das Papier nicht wert, auf dem sie geschrieben stehen, denn die USA haben sich das Recht vorbehalten, ihre Meinung jederzeit zu ändern.»
Bei einer Auslieferung an die USA würde Julian Assange nicht nur ein Verfahren nach dem Spionagegesetz drohen, sondern auch die Gefahr schwerer Menschenrechtsverletzungen aufgrund von Haftbedingungen, die Folter oder anderen Misshandlungen gleichkommen könnten, so Muižnieks.advertisement
Assange drohen 175 Jahre Haft
Die US-Justiz will Assange wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen. Assange ist dort wegen Spionage und der Veröffentlichung geheimer Dokumente auf der Enthüllungsplattform Wikileaks zu den Kriegen im Irak und in Afghanistan angeklagt.
Dem gebürtigen Australier drohen dort bis zu 175 Jahre Haft. Vorgeworfen wird ihm gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen und veröffentlicht zu haben. Unter anderem sollen dort die Tötung von Zivilisten und Zivilistinnen sowie die Misshandlung von Gefangenen dokumentiert sein. Er habe damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht, so der Vorwurf. Seine Unterstützer und Unterstützerinnen sehen in ihm hingegen einen investigativen Journalisten, der Kriegsverbrechen ans Licht brachte.
USA sollen Anschlag auf Assange geplant haben
Bei Anhörungen im Oktober hatten beide Seiten erneut ihre Argumente vorgebracht. Die US-Anwälte warfen der britischen Justiz vor, sich bei ihrer Einschätzung auf fehlerhafte Gutachten verlassen zu haben. Ausserdem sicherten die USA zu, im Falle einer Inhaftierung nicht wie befürchtet «Spezialmethoden» anzuwenden sowie einer Verlegung von Assange in ein australisches Gefängnis zuzustimmen.
Assanges Verteidiger hingegen setzten auf neue Enthüllungen über angebliche Anschlagspläne, die vor einigen Monaten durch Medienberichte ans Licht gekommen waren. Investigative Journalisten hatten unter Berufung auf nicht näher präzisierte US-Quellen berichtet, der US-Auslandsgeheimdienst CIA habe Anschlagspläne auf Assange geschmiedet, während dieser sich in der ecuadorianischen Botschaft in London aufhielt. Seine Unterstützer und Unterstützerinnen hoffen, dass diese Enthüllungen eine Auslieferung in die USA unwahrscheinlicher machen.
Assanges Angehörige beschreiben seinen Gesundheitszustand seit Monaten als schlecht und besorgniserregend. Bei den letzten Anhörungen nahm der 50-Jährige teilweise per Videoschalte aus dem Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh teil, fühlte sich zeitweise aber auch nicht in der Lage, das Geschehen zu verfolgen.
«Es geht um das Recht aller Journalisten und Journalistinnen»
«Wenn die USA erfolgreich sind, wird das alarmierende Konsequenzen für die Pressefreiheit haben. Bei diesem Fall geht es nicht nur um Assange, sondern um das Recht aller Journalisten und Journalistinnen, ihre Arbeit zu tun, und um das Recht der Öffentlichkeit, sich zu informieren», sagte die Londoner Vertreterin von Reporter ohne Grenzen, Rebecca Vincent, die das Verfahren eng begleitete.
Ob der Rechtsstreit am Berufungsgericht seinen Endpunkt findet oder letztlich beim höchsten britischen Gericht – dem Supreme Court – landen könnte, war zunächst unklar.