Die Bundesregierung prüft offenbar eine ukrainische Wunschliste zur Lieferung militärischer Güter. Auch Wirtschaftshilfen werden erwogen. Kiews Bürgermeister Klitschko fordert internationalen Beistand.
Vor der Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz nach Kiew hat die Bundesregierung der Ukraine weitere Rüstungshilfe unterhalb der Ebene tödlicher Waffen in Aussicht gestellt. Auf der von der Ukraine vorgelegten Wunschliste für militärische Ausrüstung sei „das eine oder andere“, was „man sich genauer anschauen kann“, hieß es nach übereinstimmenden Medienberichten aus deutschen Regierungskreisen. Das werde nun geprüft.
Es gehe dabei neben der politischen Entscheidung auch um die tatsächlichen Verfügbarkeit dieses Materials, das von der Bundeswehr auch selbst gebraucht werde. Es sei so, „dass bei der Bundeswehr im Moment nichts übrig ist. Da liegen jetzt nicht Tausend Nachtsichtgeräte herum, die nicht gebraucht werden“, zitierte die Nachrichtenagentur AFP aus Regierungskreisen.
Deutschland stellt Wirtschaftshilfe in Aussicht
Scholz wird aber bei seinem Antrittsbesuch in Kiew dahingehend voraussichtlich noch keine Zusagen machen. Es sei „noch nichts zu erwarten“, hieß es.
Anders sieht es mit weiterer Wirtschaftshilfe aus, die von der Ukraine ebenfalls gefordert wird. Demnach wurde laut den Berichten angedeutet, dass es an dieser Stelle konkrete Zusagen geben könnte. Angesichts der politischen Turbulenzen befinde sich etwa die ukrainische Währung unter Druck. Deutschland prüfe deshalb, „ob wir noch bilateral Möglichkeiten haben, einen Beitrag zu leisten zur wirtschaftlichen Unterstützung“. Details wurden nicht genannt.
Seit 2014 hat Deutschland bereits fast zwei Milliarden Euro für die Ukraine zur Verfügung gestellt und größter bilateraler Geldgeber der Ukraine. Damals hatte die Bundesregierung dem Land auch einen Kreditrahmen von 500 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Davon sind bisher rund 350 Millionen Euro ausbezahlt. Eine letzte Tranche von weiteren 150 Millionen Euro wird in absehbarer Zeit erwartet.
Keine Lieferung tödlicher Waffen
Der Lieferung tödlicher Waffen an die Ukraine hat die Bundesregierung eine klare Absage erteilt. Das Nein gilt aber nicht für sonstige Rüstungsgüter. In geringem Umfang hat Deutschland auch seit der Annexion der ukrainischen Krim durch Russland und dem Beginn des Konflikts in der Ostukraine 2014 Rüstungslieferungen an die Ukraine genehmigt.
Zuletzt sagte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht 5000 Schutzhelme zu. Auf einer Wunschliste der ukrainischen Botschaft stehen eine Reihe Rüstungsgüter, unter anderem Flugabwehr-Raketensysteme, Anti-Drohnen-Gewehre und Munition. Darunter sind aber auch Güter, die eindeutig keine tödlichen Waffen sind. Dazu gehören elektronische Ortungssysteme, Minenräumgeräte, Schutzanzüge, digitale Funkgeräte, Radarstationen oder Nachtsichtgeräte.
„Die Welt muss uns jetzt beistehen“
Vertreter der Ukraine forderten mehr westliche Solidarität mit ihrem Land. Der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt Kiew, Witali Klitschko, appellierte an die internationale Gemeinschaft, sich an die Seite seines Landes zu stellen. „Wir sind in der Ukraine auf das Schlimmste vorbereitet, die Welt muss uns jetzt beistehen“, sagte er der „Bild am Sonntag“. Der russische Präsident Wladimir Putin strebe nach der Weltmacht, „und der Westen sollte wissen, dass nach der Ukraine die baltischen Staaten dran sein werden. Wir sind nur der Anfang“, sagte Klitschko.
Auch der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, sagte im Deutschlandfunk, für sein Land gehe es jetzt um alles. „Entweder überleben wir diesen neuen Einmarsch, diesen Angriff, oder wir gehen zugrunde.“ Auch Europa und Deutschland würden im Falle einer militärischen Eskalation des Ukraine-Konflikts in Mitleidenschaft gezogen.
Melnyk erneuerte seine Forderung an Deutschland, Waffen an sein Land zu liefern und warf der deutschen Politik vor, mit einer „russischen Brille“ auf den Ukraine-Konflikt zu blicken. Vom Besuch des Bundeskanzlers erhoffe sich die Ukraine einen echten Neuanfang der bilateralen Beziehungen. Kiew wolle dabei ein gleichwertiger Partner sein.
Bundesregierung: Lage „extrem gefährlich“
Die Bundesregierung schätzt die gegenwärtige Lage in der Ukraine-Krise als „extrem gefährlich“ ein. Das „sehr besorgniserregende Gesamtbild“ werde die Gespräche von Scholz mit den Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Putin maßgeblich prägen, berichtete die Nachrichtenagentur dpa unter Berufung auf Regierungskreise.
Ziel der beiden Besuche sei es, den Gesprächsfaden mit Russland über eine Deeskalation aufrecht zu erhalten. Man wolle für einen Dialog über Forderungen beider Seiten eintreten. „Zu solchen Gesprächen sind wir nicht nur bereit, sondern die fordern wir auch aktiv ein.“
Staaten rufen zum Verlassen der Ukraine auf
In den vergangenen Tagen hatte sich die Krise um den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine zugespitzt. Zuletzt warnte der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, offen vor einer russischen Invasion in der Ukraine noch vor Ende der kommenden Woche.
Die US-Regierung verteidigte noch einmal ihr Vorgehen und wehrte sich gegen Vorwürfe, sie schüre damit Panik. „Nur ein Land hat mehr als 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Das sind nicht die Vereinigten Staaten. Es ist Russland. Das ist der Auslöser für den Alarm“, sagte Sullivan, dem Fernsehsender CNN.