Seit einem Jahr ist Andrea „kirchenfrei“. So nennt sie es, aus der evangelischen Kirche ausgetreten zu sein. Kirchenfrei, das heißt auch, dass Andrea knapp 40 Euro im Monat spart. Geld, das der Staat sonst als Kirchensteuer einkassiert und direkt an die Kirchen weitergeleitet hätte. 12 Milliarden Euro haben die katholische und evangelische Kirche in Deutschland so 2020 eingenommen. Und vielleicht hast du auch finanziell dazu beigetragen.
In Berlin zahlen Kirchenmitglieder acht Prozent ihrer Lohnsteuer – in anderen Bundesländern neun Prozent. Wenn du also ein Berliner Durchschnittsgehalt von etwas über 3.500 Euro brutto verdienst, zahlst du über 46 Euro Kirchensteuer im Monat.
Falls du gerade in weihnachtlicher Stimmung bist und überlegst, nach Jahren mal wieder in die Kirche zu gehen, dann aber merkst, dass der Mann da oben auf der Kanzel Dinge erzählt, die nicht ansatzweise etwas mit deinem Leben zu tun haben, dann bist du hier richtig. Denn du bist nicht alleine mit deiner Überlegung: Die Zahl der Kirchenmitglieder in Deutschland sinkt seit Jahren konstant und fast ein Drittel von ihnen haben 2021 darüber nachgedacht, aus der Kirche auszutreten. Selbst in Bayern sprechen sich in einer repräsentativen Umfrage 75 Prozent gegen die Kirchensteuer aus. Wir zeigen dir, wie du den Austritt schaffst und gleichzeitig eine Menge Geld sparst.
Weg von der Abofalle
Andreas Entscheidung ist unterm Weihnachtsbaum gefallen. Sie war über die Feiertage bei ihrer Familie in Gütersloh. Ihre Oma hatte sie gefragt, wann sie das letzte Mal in der Kirche war. 2014 bei einem Schulausflug. „Dass es so lange her ist, hat ihr offensichtlich nicht gefallen. Sie hat dann gesagt ‚Ich bete für dich'“, sagt Andrea heute. „Da stand meine Entscheidung fest, dass ich auch ganz austreten kann.“ Immerhin würde das Beten ja jetzt jemand anderes übernehmen. Oma war unerwarteterweise nicht sauer.
Für die Konfirmation und ein paar 100 Euro habe der Glaube an die Kirche gereicht, aber spätestens mit dem Abitur und ihrem Studium in Hamburg sei es vorbei gewesen mit den obligatorischen Kirchgängen zu den Feiertagen, erzählt Andrea. Aber ausgetreten sei sie nie: „Ein bisschen war es Faulheit, ein bisschen Unwissen und irgendwie wollte ich meine Oma auch nicht enttäuschen.“
Dass du überhaupt in der Kirche landest, ohne je etwas unterschrieben zu haben, liegt übrigens an der Sonderstellung der Kirche in Deutschland. Carsten Frerk ist Fachmann für das Thema Kirche bei der humanistischen Giordano-Bruno-Stiftung. Er kritisiert diese Sonderstellung: „Bei der Taufe geben Eltern eine Absichtserklärung ab. Sozusagen ein ‚Vorkaufsrecht‘ auf das Seelenheil. Das wird aber erst mit der Konfirmation eingelöst.“ Wenn man Kirchenrecht ernst nehmen würde, so erklärt er es, müsste jeder, der sich nicht auch konfirmieren lässt und mit 14 Jahren seine Zustimmung gibt, von der Kirche vergessen werden. Das passiert aber nicht. Die Kirchensteuer ist damit quasi eine Abofalle.
Immer ein guter Austrittsgrund: die Skandale der Kirchen
Kein Wunder, dass 2020 fast 450.000 Menschen aus der Kirche ausgetreten sind. Wenn du keine Oma hast, die für dich betet oder du einfach nach einem Grund für den Kirchenaustritt suchst (den du offiziell übrigens nicht brauchst), gab es in den letzten Jahren besonders in der katholischen Kirche genügend Skandale, die du dir zumindest anschauen solltest.
Im August zeigte der Bayerische Rundfunk, wie in den 60er und 70er Jahren in einem Heim der katholischen Kirche in Feldafing südlich von München Kinder vom damaligen Pfarrer sexualisierte Gewalt erfahren haben. Das ist kein Einzelfall. Die Liste der Vorfälle ist lang und Täter kommen auch oft ungeschoren davon – abgesehen von Versetzungen oder schlimmstenfalls einer Kündigung. Hohe Kirchenvertreter versuchen die Taten zu vertuschen und wenn es um Entschädigungen geht, zeigt sich die Kirche geizig: So hat das Erzbistum Köln in den vergangenen drei Jahren rund 2,8 Millionen Euro für Gutachter, Medienanwälte und Kommunikationsberater ausgegeben – und nur etwas mehr als die Hälfte für Betroffene.
Gleichzeitig verschwenden Kirchenvertreter dein Geld. In Limburg hat sich der damalige Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst bei der Renovierung des Bischofshauses 2013 an den prunkvollen Palästen des Papstes orientiert und auf Luxus gesetzt: Er gönnte sich eine freistehende Badewanne für schlappe 15.000 Euro und Kunstwerke für 450.000 Euro. Über 31 Millionen Euro hat das Bischofshaus am Ende insgesamt gekostet. Nicht umsonst ist das Wort „Protz-Bischof“ fast Wort des Jahres 2013 geworden.
Das deutsche System mit den Kirchensteuern fördert solche Verschwendung. In Frankreich, so erzählt es Kirchenexperte Frerk, sei das anders. Da gebe es keine Kirchensteuer, stattdessen einen Tag, an dem die Menschen eben für ihre Kirche spenden würden. „Das fördert das System der lebendigen Kirche“, sagt Frerk. Pfarrer würden sich oft bei Familien in ihrer Gemeinde zum Essen einladen und dann mit am Abendbrot-Tisch sitzen. „Das ist eine tolle Win-Win-Situation, die Familie fühlt sich geehrt, dass der Pfarrer mit am Tisch sitzt und das Tischgebet spricht“, erklärt Frerk.
Der Weg führt in die deutsche Verwaltung
Zum Glück ist ein Kirchenaustritt unkompliziert. Eigentlich brauchst du dafür nur eine Sache: deinen Reisepass oder Personalausweis. Außerdem musst du über 14 Jahre alt sein. Komplizierter wird es nur dadurch, dass die Bundesländer den Kirchenaustritt unterschiedlich regeln. In Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen musst du zum zuständigen Amtsgericht, in den anderen Bundesländern zum Standesamt. Dort (oder schon zu Hause) füllst du ein Austrittsformular aus. Du musst deine Entscheidung nicht begründen.
Wenn dein Konto aber eh schon überzogen ist, solltest du nachschauen, was die Verwaltung für den Kirchenaustritt als Gebühr verlangt. Auch das ist in den jeweiligen Bundesländern unterschiedlich geregelt. In stark christlich geprägten Bundesländern (in Teilen Baden-Württembergs zum Beispiel) musst du bis zu 60 Euro bezahlen. Meistens sind es aber zwischen 10 und 30 Euro. In Berlin, Bremen, Brandenburg und Thüringen ist die Dienstleistung sogar kostenlos.
Andrea musste sich für ihren Kirchenaustritt einen Tag frei nehmen und vorher einen Termin beim Amtsgericht ausmachen. „Dass ich da persönlich auftauchen musste, war nervig“, sagt sie. „Klar, am Ende ging es dann schnell, aber ich hatte schon das Gefühl, dass es einem extra schwer gemacht wird. Ein Zeitungs-Abo kann ich ja auch per Mail kündigen.“
Nachdem du bezahlt hast, bekommst du eine Austrittsbescheinigung. Die musst du aufbewahren, also pack sie am besten zu den Dokumenten, die du bei jedem Umzug mitschleppst. Auch wenn du nicht genau weißt, wofür du sie am Ende brauchst: Die Kirche könnte „vergessen“, dass du ausgetreten bist. Dann musst du das nochmal nachweisen.
Post vom Pfarrer
Herzlichen Glückwunsch, du bist nun aus der Kirche ausgetreten. Im Hintergrund passieren aber nun einige Dinge. Denn über deine Entscheidung werden mehrere Stellen informiert: die Kirche, deren Mitglied du warst, die Meldebehörde, das Finanzamt und das Standesamt.
Dass die Kirche informiert wird, kann besonders ärgerlich sein. Andrea zum Beispiel hat nach ihrem Kirchenaustritt einen Brief vom Pfarrer ihrer Gemeinde bekommen. In dem Brief wirkt der Pfarrer ein bisschen wie der toxische Ex und möchte „Gründe für den Austritt erfahren“. Gleichzeitig beschreibt er eine Zukunft, in der Andrea keine Taufpatin mehr sein könne und sagt, dass sie ihre Pflicht als Christin verletzen würde. Ein schlechtes Gewissen sollten dir solche Briefe aber nicht machen.
In manchen Fällen könnte der Kirchenaustritt allerdings doch Probleme bringen: So solltest du dir den Austritt überlegen, wenn du bei einem kirchlichen Arbeitgeber angestellt bist. In Deutschland haben die Kirchen nämlich das Recht, dich zu feuern, wenn du nicht mehr Mitglied bist. Wenn du also beispielsweise in einem evangelischen Kindergarten arbeitest, dann könntest du deinen Arbeitsplatz verlieren. Das sei zwar grundrechtswidrig, sagt Kirchenexperte Frerk, aber durch die Stellung der Kirche immer noch üblich.
Auch wenn immer wieder behauptet wird, mit der Kirchensteuer würden kirchliche Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser finanziert: „Das stimmt nicht!“, sagt Frerk. Gerade mal vier Prozent der Kirchensteuer gehen in Diakonie und Caritas, die solche Projekte betreiben. Diese kirchlichen Krankenhäuser würden alle öffentlich finanziert – also sowieso schon über deine Steuern.
Andrea sagt, sie habe ihren Austritt nicht bereut. Das Geld stecke sie jetzt in ihre Altersvorsorge: „Das erscheint mir sinnvoller, als auf ein erfülltes Leben nach dem Tod zu spekulieren.“