Share This Post

Featured / Main Slider / News

Ukraine-Krieg: Immer mehr Russen stehen hinter Putin

Ukraine-Krieg: Immer mehr Russen stehen hinter Putin
Spread the love

Nachdem am 29. März die jüngste Verhandlungsrunde zwischen der Ukraine und Russland in Istanbul erstmals seit Beginn der Friedensgespräche wesentliche – von beiden Seiten offiziell bestätigte – Fortschritte brachte, stießen die vorläufigen Verhandlungsergebnisse auf teils harsche Kritik sowohl in der Ukraine als auch in Russland. Insbesondere in Russland traten die Bruchlinien des innerelitären Konfliktes zwischen der „Partei des Friedens“ und der „Partei des Krieges“ deutlich zu Tage. Wobei die „Partei des Krieges“ mittlerweile die Oberhand zu gewinnen scheint.

Unmittelbar nach Bekanntwerden der vorläufigen Verhandlungsergebnisse übte der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow scharfe, ins persönliche abdriftende Kritik an Wladimir Medinskij, Leiter der russischen Delegation bei den Friedensverhandlungen mit der Ukraine. In einer Videobotschaft sagte Kadyrow den russischen Bürgern, dass Russland gegenüber der Ukraine zu keinerlei Kompromissen bereit sei. Vielmehr seien Medinskij Fehler unterlaufen. So habe dieser – nach Einschätzung Kadyrows – einfach zu falschen Formulierungen gegriffen. Die Entscheidungen treffe nach wie vor allein der Oberbefehlshaber Wladimir Putin. Sollte Kiew sich also nicht freiwillig ergeben, werde die Stadt gewaltsam besetzt werden, kündigte Kadyrow an.

Schließlich rief Kadyrow die ukrainische Führung dazu auf, schnellstmöglich zu kapitulieren, alle Forderungen Putins widerspruchs- und ausnahmslos zu erfüllen und das ukrainische Volk, Russland und die sogenannten Volksrepubliken von Donezk und Luhansk um Verzeihung zu bitten. Widrigenfalls sei keine Gnade zu erwarten, schloss Kadyrow seine Videobotschaft mit einer unverhohlenen Drohung ab.

Interessanterweise kritisierte Ramsan Kadyrow bereits Anfang März in einer Audiobotschaft in seinem Telegram-Kanal – in einem selbst für seine Verhältnisse ungewöhnlich scharfen Ton – die Situation an der Front, bezeichnete diese als ungerecht und rief Wladimir Putin dazu auf, den „Einsatz aller notwendigen militärischen Mittel zuzulassen“, um den Krieg schnellstmöglich siegreich zu beenden.

Angesichts der Tatsache, dass Kadyrow über die vergangenen Monate innerhalb der russischen Eliten stark an Einfluss gewann und für das Überleben des Regimes zunehmend zu einer zentralen Figur wird, wird seine Botschaft im Kreml nicht ungehört bleiben. Sei es, wie es sei: Ohne eine Feuerpause schlägt der Zeitfaktor ohnehin zu Russlands Gunsten aus. Dank der Scheineingeständnisse erhält Moskau sowohl politisch als auch militärisch ausreichend Spielraum, um den Sanktionsdruck des Westens punktuell aufzuweichen und gleichzeitig die eigenen Streitkräfte für weitere Offensivoperationen zu konsolidieren.

Auch dürften die wenigen Vertreter der „Partei des Friedens“ kein offenes Ohr des Kremls mehr erwarten. Die Gruppe der wirtschaftsliberalen und – naheliegenderweise nur sehr bedingt – prowestlichen Kriegsgegner in den russischen Eliten scheint seit Beginn des Angriffskrieges jedwede Einflussmöglichkeit auf die Entscheidungen der Staatsführung zu verlieren.

Vielmehr dürfte sich Russland inmitten einer gegen Kriegsgegner und „Nationalverräter“ gerichteten Säuberungswelle befinden. So schloss Wladimir Putin beispielsweise am 28. März per Präsidialdekret vier hochverdiente Wissenschaftler mit internationalem Renommee und langjährige Mitglieder des wissenschaftlichen Beirates beim Sicherheitsrat der Russischen Föderation aus. Darunter Aleksej Gromyko, Direktor des Europainstitutes an der Russischen Akademie der Wissenschaften, und Alexander Nikitin, Direktor des Zentrums für Euro-Atlantische Sicherheit an der Diplomaten-Kaderschmiede – das staatliche Moskauer Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO-Universität).

Der unmittelbare Anlass für die Abberufung dürfte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein gemeinsam mit internationalen Sicherheits- und Europaexperten unterzeichneter Antikriegsaufruf von Anfang März gewesen sein. Dieser ist auf der Webseite des Europa-Institutes veröffentlicht und nach nur wenigen Tagen wieder gelöscht worden. Damit ist auch ein baldiger Wechsel an der Spitze einiger für Europa und die internationale Sicherheitsforschung zuständigen russischen akademischen Institutionen absehbar. Denn nur zu offensichtlich ist die russische Führung an einem neuen analytischen Ansatz zu den Fragen euro-atlantischer Sicherheit interessiert.

Mit wenigen Ausnahmen scheint innerhalb der Eliten- und Bürokratiekreise die anfängliche Fassungslosigkeit und Schockstarre angesichts der irrational anmutenden Entscheidung Putins über den Beginn des Angriffskrieges gegen die Ukraine einer – durch Angst und Enttäuschung beschleunigten – Akzeptanz gewichen zu sein.

Nach Ansicht der unabhängigen russischen Journalistin Farida Rustamova setzte sich bereits die Überzeugung durch, dass in der Beziehung zum Westen der „Point of no Return“ überschritten wurde und es mittlerweile keine sinnvolle Alternative zur offenen Unterstützung des Kremls gibt. Das Fundament dieser zunehmend monolithisch werdenden Einigkeit bildet – nach Ansicht Rustamovas – die aus der allgemeinen Perspektivlosigkeit erwachsende Zwangsloyalität der 35- bis 40-jährigen Vertreter der Eliten- und Bürokratiegeneration.

Diese innerelitäre Konsolidierung wird allerdings nach Informationen des Meduza-Journalisten Andrey Pertsev durch große Angst vor politischer Instabilität Russlands und Unsicherheit über die kommenden Entscheidungen der Staatsspitze begleitet. Denn selbst in der Präsidialadministration verstehe man nicht, welche Ziele Putin eigentlich verfolge, so Pertsev. In diesem Zusammenhang bezeichnet der Russland-Korrespondent der „Welt“ Pavel Lokshin die vorherrschende allgemeine Unsicherheit russischer Eliten- und Bürokratiekreise pointiert als Schnappschüsse aus asynchron ablaufenden fünf Phasen der Trauerbewältigung und weist zu Recht darauf hin, dass die Desorientierung der russischen Eliten und mangelnde Zukunftsplanungsmöglichkeiten zur politischen Apathie führen werden und die Wahrscheinlichkeit einer Palastrevolte massiv vermindern.

Innerhalb der Eliten- und Bürokratiekreise dürfte – ungeachtet der aktuellen Einigkeit – das Gefühl der Desillusionierung und der Orientierungslosigkeit in den kommenden Monaten zunehmen. Somit bleibt für die kurz- bis mittelfristige Stabilität des Regimes unzweifelhaft ein baldiges Ende der Kriegshandlungen in der Ukraine entscheidend.

Doch selbst ein Ende des Krieges wird keine unmittelbare Antwort auf die unentrinnbare Schärfe der Gretchenfrage nach den politischen Zukunftsmodellen in Bezug auf die russisch-ukrainischen Beziehungen sowie nach einem neuen Modus vivendi für das EU-Russland-Verhältnis liefern und für zahlreiche weitere Bruchlinien sowohl innerhalb russischer Eliten- und Bürokratiekreise als auch in der Bevölkerung sorgen.

Der jüngsten Umfrage des regierungskritischen Meinungsforschungsinstitutes Levada-Zentrum zufolge unterstützen mittlerweile 81 Prozent der Befragten die „Spezialmilitäroperation“ Russlands in der Ukraine; offen dagegen haben sich lediglich 14 Prozent der Befragten ausgesprochen.

Auch die Zustimmung für die zentralen staatlichen Institutionen (Präsident, Regierung, Staatsduma) ist im Laufe des ersten Kriegsmonats deutlich gewachsen; durchschnittlich um über 10 Prozent. Die persönliche Unterstützung für Putin hat mit 83 Prozent (71 Prozent im Februar) einen ebenfalls deutlichen Sprung nach oben gemacht. Der Anteil derjenigen, die der Meinung sind, dass sich die Dinge im Land in die richtige Richtung entwickeln, stieg im Vergleich zum Februar von 38 auf 69 Prozent stark an; nur noch 22 Prozent der Befragten sind der Ansicht, dass sich das Land in die falsche Richtung bewegt – im Vergleich zu 38 Prozent im Vormonat.

Die Aussagekraft von Umfragen unter einer durch jahrelange Staatspropaganda desinformierten und durch die Willkür der Machthaber verängstigten Bevölkerung in einem zunehmend ins Diktatorische abdriftenden autoritären Staat darf natürlich angezweifelt werden. Doch sollte nicht vergessen werden, dass die russische Staatspropaganda auch deshalb so gut funktionieren kann, weil sie auf den fruchtbaren Boden tradierter (vorrevolutionär, kommunistisch, postsowjetisch), die Eigenstaatlichkeit der Ukraine leugnender Geschichtsschreibung fällt.

Auch deutet die erstaunliche, weitgehende Übereinstimmung in den Umfrageergebnissen zwischen staatlichen und unabhängigen Meinungsumfrageinstituten darauf hin, dass in der Bevölkerung – abseits der Schuldfrage – eine grundsätzliche Unterstützungsbereitschaft der russischen „Militäroperation“ besteht; jedenfalls dürfte der Wunsch nach einer militärischen Niederlage Russlands schwindend gering sein und sich auf marginale oppositionelle Gruppen beschränken.

Auch wenn Kollektivschuldzuweisungen überschießend erscheinen und reflexartiger, mancherorts bellizistische Züge annehmender Antirussismus mit Sicherheit eine falsche Antwort auf Putins Invasion in der Ukraine ist und die Bevölkerung Russlands nur weiter in die Arme des Kremls treibt, gilt es dennoch eins zu bedenken: Die gesamte russische Gesellschaft wird sich in Zukunft – angesichts unzähliger Kriegsverbrechen Moskaus – der Aufarbeitung der komplexen und zweifellos schmerzvollen Frage nach der Kollektivverantwortung für den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine stellen müssen.

Medizinskandal Alterung

Share This Post

Herzlich Wilkommen auf unsere neue Webseite !

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

You may use these HTML tags and attributes: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>

Translate »
Zur Werkzeugleiste springen