Südkoreanische Forschende kombinierten Nanopartikel mit Magnetfeldern, um Versuchstiere beim Fressen, bei sozialen Kontakten und beim Umgang mit Jungtieren zu „steuern“
Experimente, bei denen von außen Einfluss auf das Gehirn zur Verhaltenssteuerung genommen wird, sind keineswegs neu. Bisher beruhten diese Techniken allerdings auf aufwendigen optogenetischen Verfahren oder umständlichen Elektroden am Kopf, die die Versuchstiere – oder im Falle auch Menschen – via Kabel mit einem externen System verbinden. Derartige Anordnungen stellen nicht nur einen invasiven Eingriff dar, sondern schränken die Versuchsobjekte auch in ihrer Bewegungsfreiheit ein. Solche Störfaktoren haben es an sich, die Ergebnisse der Experimente zu verändern, wenn nicht gar zu verfälschen.
Fernsteuerung ohne Kabelsalat
Nun aber berichten koreanische Forschende von einer neu entwickelten Methode, die ohne Kabelsalat auskommt – und durchaus ein bisschen gruselig wirkt: Durch das bloße Anlegen eines Magnetfelds konnte bei Mäusen, denen zuvor Nanopartikel verabreicht worden waren, ganz spezifische Verhaltensweisen ausgelöst werden: Die Tiere wurden so gleichsam aus der Ferne dazu gebracht, mehr oder weniger Nahrung aufzunehmen, die Gesellschaft von Artgenossen aufzusuchen oder sich mehr um ihre Nachkommenschaft zu kümmern.
Das Forschungsteam um Jinwoo Cheon vom Institute for Basic Science (IBS) im südkoreanischen Daejeon und der Yonsei-Universität in Seoul spricht von einem regelrechten Durchbruch. Die Gruppe nennt ihre Technologie Nano-Mind, ein Akronym für „Magnetogenetic Interface for Neurodynamics“. Letztlich läuft die Methode also auf Gedankenkontrolle „per Fernbedienung“ hinaus, und tatsächlich könne man mit dem System in seiner jetzigen Form neuronale Schaltkreise aus der Distanz aktivieren, berichtet die Gruppe im Fachjournal Nature Nanotechnology.
Viele Anwendungsgebiete
„Dies ist die weltweit erste Technologie, mit der bestimmte Hirnregionen durch Magnetfelder frei gesteuert werden können“, erklärte Cheon. „Wir gehen davon aus, dass die Technologie in der Forschung zum besseren Verständnis von Gehirnfunktionen beiträgt, aber auch für hochentwickelte künstliche neuronale Netze oder Gehirn-Computer-Interfaces genutzt werden kann. Auch bei neuartigen Behandlungen von neurologischen Erkrankungen könnte sie eine Rolle spielen.“
Die Stimulation per Magnetfelder ist ein wachsendes Forschungsgebiet in der Neurologie. Grundsätzlich geht es hier darum, Gehirnareale mit elektromagnetischen Impulsen so zu beeinflussen, dass sich dadurch mehr oder weniger subtile Verhaltensänderungen bewerkstelligen lassen. Um bestimmte Bereiche des Gehirns anzusteuern, nahm die Gruppe um Cheon Anleihen in einem anderen Forschungsbereich, der Optogenetik. Dabei werden Zellen genetisch so verändert, dass sich bei ihnen gewisse zelluläre Mechanismen durch eine Lichtquelle aktiviert lassen.
Umschalten per Nanopartikel
Cheon und sein Team integrierte auf genetischem Weg gezielt Ionenkanäle in ausgesuchten Populationen von Mäuse-Gehirnzellen. Anstatt wie bei der Optogenetik auf Licht zu setzen, wurden die Ionenkanäle durch die Drehung eines winzigen Nanopartikels magnetisch eingeschaltet, die den Tieren zuvor verabreicht worden waren.
Um die Funktionsfähigkeit dieser Methode zu prüfen, entwarfen die Forschenden drei unterschiedliche Testvarianten. Bei der ersten ging es um Rezeptoren, die an komplexem Fress- und Belohnungsverhalten im lateralen Hypothalamus beteiligt sind, einer Region, die sich tief im Inneren des Gehirns befindet.
Hungern oder schlemmen
Als die Forschenden die so vorbereiteten Mäuse von einer nichtmagnetischen Umgebung in ein Magnetfeld setzen, zeigten sich sofort signifikante Unterschiede in ihrem Verhalten bei der Nahrungsaufnahme. „Wir konnten beobachten, dass es möglich ist, die Lust der Mäuse am Fressen buchstäblich nach Belieben ein- und auszuschalten“, berichteten die Wissenschafter.
Konkret ergab sich folgendes Bild: Eine Gruppe von Versuchstieren hatte man mit anregenden Neuronen im lateralen Hypothalamus mit Nanopartikel-Schaltern versehen. Eine zweite Gruppe bekam solche Schalter für ihre hemmenden Neuronen im selben Gehirnareal. Unter dem Einfluss des Magnetfelds nahm die erste Gruppe, deren anregenden Nervenzellen dadurch ausgeschaltet wurden, plötzlich nur halb so viel Nahrung zu sich. Die zweite Gruppe mit manipulierten hemmenden Neuronen fraß in einem Magnetfeld dagegen doppelt so viel.
Geselliger und mütterlicher
Der laterale Hypothalamus enthält auch Regionen, die für die Geselligkeit verantwortlich sind. Auch mit diesen Schaltkreisen hat das Team experimentiert. Das Ergebnis: Wurde eine entsprechend manipulierte Maus bei aktivem Magnetfeld in eine Umgebung gesetzt, in der sich ein ihr unbekannter Artgenosse befand, zeigte sie signifikant „freundliches“ und aufgeschlossenes Verhalten.
Eine dritte Testvariante zielte auf Schlüsselrezeptoren im sogenannten medialen präoptischen Bereich ab, der bei der elterlichen Fürsorge eine Rolle spielt. Auch hier konnten die Versuchstiere mit Nanopartikeln und Magnetfeldern gleichsam in ihrem Verhalten gesteuert werden: Weibliche Mäuse, bei denen Nano-Mind den medialen präoptischen Bereich stimulierte, reagierten besonders „mütterlich“ auf die Laute von Mäusebabys: Sie näherten sich den Jungen schneller und kauerten in beschützender Weise länger über der Nachkommenschaft als Weibchen, die keinem Magnetfeld ausgesetzt warn.
Wege zu neuen Therapien
Laut Jinwoo Cheon und seine Kolleginnen und Kollegen eröffnet die von ihnen entwickelte Technologie völlig neue, spannende Möglichkeiten. Sie bezeichneten eine derart exakte Kontrolle über bestimmte neuronale Schaltkreise als regelrechten Segen für die Forschung, insbesondere wenn es um die Entwicklung neuer Behandlungswege geht.
Laut Cheon könnte ihre Methode eines Tages beispielsweise eine wichtige Rolle bei Therapien für degenerative neurologische Erkrankungen spielen und so den Betroffenen die vollständige Kontrolle über ihren Verstand zurückgeben. Bis es so weit ist, sei freilich noch ein weiter Weg zurückzulegen, räumt das Team ein. Noch stünden sie ganz am Anfang, über etwaige Risiken und Nebenwirkungen könne man noch keine sicheren Aussagen machen.