Die Ukraine steht kurz vor einem direkten Krieg mit Russland. 100.000 russische Truppen sind entlang der ukrainischen Grenze stationiert, und Anstrengungen, den Konflikt im Dialog zwischen den Nato-Staaten und Russland zu entschärfen, blieben bislang erfolglos.
US-Präsident Joe Biden gab am vergangenen Mittwoch sogar bekannt, dass er einen Einmarsch Russlands in die Ukraine erwarte. Ein solcher Krieg hätte nicht nur verheerende humanitäre und politische Folgen, sondern würde sich auch negativ auf die Wirtschaft und die Energieversorgung Europas auswirken.
Doch die US-Regierung arbeitet an einem – nicht ganz uneigennützigen – Plan, diese Folgen im Notfall abzumildern.
Deutschland macht sich von russischem Gas abhängig
Deutschland ist das größte Importland für russisches Erdgas. Aktuell bezieht die Bundesrepublik mehr als die Hälfte ihrer Erdgasversorgung aus Russland, für die Europäische Union sind es 40 Prozent. Die aktuelle Krise in der Ukraine stellt eine Herausforderung für Importländer dar. Denn zwei große Pipelines liefern russisches Erdgas durch das Land in die EU.
Groß sind die Sorgen um einen Angriff Russlands auf die Ukraine und folgende Sanktionen gegen russische Gaskonzerne. Damit könnten Gaslieferungen aus Russland „in Gefahr geraten“, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Auch das Risiko von Lieferausfällen wächst. Befürchtungen neuer Gasstopps weist der Kreml zurück: „Russland hat noch nie einen Grund gegeben, an seiner Zuverlässigkeit zu zweifeln“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Agentur Interfax.
Doch die Ereignisse des vergangenen Monats zeichnen ein anderes Bild: Im Dezember stoppte Russland Gas-Lieferungen über die Jamal-Pipeline. Der Kreml nannte das eine kommerzielle Entscheidung; die Sorge, dass Russland sein Gas als geopolitische Waffe einsetzt, mindert das in der EU jedoch nicht. Während des Jamal-Stopps erreichte der Gaspreis am Markt TTF einen Höchststand von 170 Euro. Ein Vertreter der russischen Regierung sagte, Europa könne den Druck auf Gaspreise lindern, wenn es Verzögerungen beim umstrittenen Energieprojekt Nord Stream 2 beende, berichtete der US-Sender „CNBC“.
Fast die Hälfte der Wohnungen in Deutschland wird mit Erdgas beheizt, die Heizsaison endet erst am 30. April. Eine durch einen Krieg in der Ukraine zunehmende Knappheit des Erdgases könnte für Verbraucher in Europa also teuer werden. Dafür bereitet das US-Außenministerium einen Notfallplan vor.
Washington will den US-Gashandel auf Europa ausrichten
Vertreter des Weißen Hauses gaben am Dienstag bekannt, dass sie in Zusammenarbeit mit europäischen Partnern eine Strategie entwickelten, um Europa ausreichend Erdgas zu sichern. So würden europäische Gasspeicher eingesetzt, um russische Gasexporte teilweise zu ersetzen. Weiterhin sei das Weiße Haus in Kontakt mit Gasproduzenten „aus Nordafrika und dem Nahen Osten bis Asien und den USA“, um die Produktion vorübergehend zu erhöhen. Diese soll an „europäische Käufer“ verkauft werden, sagte ein Regierungsvertreter.
Welche Länder und Unternehmen an dem Plan konkret beteiligt werden sollen, wurde nicht bekannt gegeben. US-Präsident Biden werde sich allerdings mit dem Staatsoberhaupt Qatars, Amir Tamim bin Hamad Al Thani, treffen, um die „Stabilität der globalen Energieversorgung“ zu besprechen, heißt es in einer Meldung des Weißen Hauses. Laut „Bloomberg“ sollen die zwei Staaten bereits Gespräche über mögliche Erdgaslieferungen nach Europa führen.
Auch Erdgastanker sollen umgeleitet werden. „Wir haben in den ersten Wochen bereits eine Reihe von umgeleiteten Tankern von Asien nach Europa gesehen“, sagte ein Sprecher der US-Regierung. „Käufer aus Asien waren bereit, auf einige ihrer Tanker zu verzichten und sie auf dem Markt weiterzuverkaufen – und diese gingen nach Europa, was bereits erhebliche Auswirkungen auf die Widerstandsfähigkeit der Energieversorgung in Europa hatte.“