Wer es immer noch nicht begriffen hat, dem sollte die Meldung über Bundeswirtschaftsminister Robert Habecks Aktivierung der Frühwarnstufe des sogenannten Notfallplans Gas endlich die Augen öffnen. Die Zeiten der bloßen Warnungen sind vorbei. Wir befinden uns bereits am Beginn des Notstandes.
„Es gibt aktuell keine Versorgungsengpässe“, behauptet der Grünen-Politiker; die stehen aber unmittelbar bevor, wie man dem folgenden Satz entnehmen kann: „Dennoch müssen wir die Vorsorgemaßnahmen erhöhen.“
Die Bundesregierung bereitet die Öffentlichkeit auf eine erhebliche Verschlechterung der Gasversorgung vor. Dabei ist der Angriffskrieg gegen die Ukraine nur der auslösende Faktor. Ursache – und das wird nach wie vor verschwiegen – ist die völlig verfehlte Energiepolitik der letzten Jahre. Treiber dieser mit dem Euphemismus „Energiewende“ belegten Reihe von Fehlentscheidungen waren die Grünen, denen sich nach und nach die SPD, die Union unter Merkel und schließlich die FDP anschlossen. Eine links-grüne Presse leistete erfolgreich Schützenhilfe.
Erst kam der beschleunigte Ausstieg aus der Kernkraft, ein staatsstreichartiger Entschluss von Ex-Kanzlerin Merkel, um die Union für die Grünen koalitionsfähig zu machen, dann folgte der Kohleausstieg, der laut Koalitionsvertrag der Ampel noch vorgezogen werden soll. Beide Ausstiege sollten durch russisches Erdgas kompensiert werden, bis eines nie zu erreichenden Tages die „Erneuerbaren“, von FDP-Chef Lindener jüngst als „Freiheitsenergien“ betitelt, die alleinige Versorgung des (noch) Hochtechnologielandes Deutschland übernehmen sollen. Die am Mittwoch, dem 30. März, ausgerufene Frühwarnstufe diene der Vorsorge. Nach dem Notfallplan gibt es drei Krisenstufen. Im Notfall wären Haushaltskunden besonders geschützt.
Nicht so die Industrie.
Vor zwei Wochen hatte Habeck verkündet, Deutschland bis zum Herbst unabhängig von russischer Kohle machen zu wollen – und bis Ende des Jahres weitgehend unabhängig von russischem Öl.
„Jeden Tag, ja faktisch jede Stunde verabschieden wir uns ein Stück weit von russischen Importen“, so Habeck. „Wenn es gelingt, sind wir im Herbst unabhängig von russischer Kohle und Ende des Jahres nahezu unabhängig von Öl aus Russland.“
Das erinnert fatal an den legendären Versuch der DDR, mittels eines Ein-Megabit-Chips den Anschluss an die technologische Entwicklung herzustellen. Bekanntlich ging das total schief, weil zu viele ideologische Vorgaben die Entwicklung behinderten. Heraus kam ein Chip, der bereits bei seiner Vorstellung veraltet war und nie produziert werden konnte.
Ähnlich werden Habecks Gasersatzträume platzen – und das weiß er auch. Mit der ausgerufenen Frühwarnstufe soll vom eigentlichen Problem abgelenkt werden.
Russisches Gas kann weder von heute auf morgen noch überhaupt durch amerikanisches Fracking-Gas vollständig ersetzt werden. Dafür gibt es weder genug Gastanker noch Entladeterminals in Europa. Deutschland hat übrigens gar keinen, der erste soll erst gebaut werden, was Jahre dauern wird, auch wenn alle Umweltstandards geschleift werden.
Der Durchlauf der Nord-Stream-1-Pipeline beträgt 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr, die Kapazität eines aktuellen LNG-Tankers 147-tausend Kubikmeter. In Anbetracht der Konversionsrate zwischen gasförmigem und flüssigem Erdgas ergibt das etwa 600 Tankerfahrten zusätzlich im Jahr, um Nord Stream 1 zu ersetzen. Angesichts noch wesentlich höherer Kapazitäten des kontinentalen Pipelinenetzes von Russland nach Europa dürfte die Zahl der zusätzlich nötigen Fahrten tatsächlich mehr als doppelt so hoch sein.
Weit mehr als tausend Fahrten quer über den Atlantik, jährlich und das bei jedem Wetter.
2018 gab es insgesamt etwa 470 dieser Tanker weltweit.
Wegen der hohen Konstruktionskosten, etwa 200 Millionen Dollar pro Schiff, werden solche Tanker erst auf Kiel gelegt, wenn eine Langfristcharter vorliegt, etwa über 20 Jahre.
Es ist also eine absolute Illusion oder Irreführung der Öffentlichkeit, wenn man den Eindruck erweckt, russisches Gas könnte kurzfristig ersetzt werden.
Der Gasverbrauch in Deutschland beträgt 400 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Es gibt bereits ernsthafte Warnungen aus der Industrie, die ja laut Notfall-Plan als erste abgeschaltet wird. Der Präsident des Verbandes der chemischen Industrie (VCI) Kullmann hat vor drastischen Folgen eines möglichen russischen Energielieferstopps für die deutsche Volkswirtschaft gewarnt. Die Situation sei ernst, die deutsche Industrie und besonders die chemische Industrie müssten sich im Fall eines russischen Energie-Embargos „auf ein drastisches, auf ein dramatisches Szenario“ vorbereiten. Dann könne die Volkswirtschaft „nicht überleben“.
Gerade die chemische Industrie sei sehr energieintensiv. „Wenn wir von der Energieversorgung abgeklemmt werden sollten, dann stehen wir hier innerhalb von wenigen Tagen still.“ In der Folge würden weitere Branchen wie die Bau-, Auto- und Verpackungsindustrie nicht mehr produzieren können.
Wenn die dritte Stufe des Notfallszenarios der Bundesregierung eintrete, müssten die großen Werke innerhalb von drei Stunden abgestellt werden. Das würde bedeuten, dass Hunderttausende oder sogar Millionen Beschäftigte innerhalb kürzester Zeit „auf Kurzarbeit Null“ gesetzt werden müssten. Es gäbe dann zum Beispiel keine Dämmstoffe, keine Autolacke und keine Verpackungen mehr für Medikamente.
Mache Grüne mögen die Deindustrialisierung Deutschlands ja sogar begrüßen. Aber woher soll dann das Geld für die Versorgung der Millionen Kriegsflüchtlinge kommen? Und was wird aus der EU? Margret Thatcher hat einstmals prophezeit, die EU wäre an dem Tag zu Ende, an dem Deutschland nicht mehr zahlen könne. Wir scheinen nahe an der Probe zu sein, die auf dieses Exempel gemacht werden wird.