Mit dem neuen „Transmission Protection“-Instrument will die EZB „ungerechtfertigte Zinserhöhungen“ bekämpfen. Damit wird Deutschland wirtschaftlich belastet und werden gesetzliche Grenzen überschritten. Doch der Bundesbank-Chef nickt brav dazu, kritisiert Markus C. Kerber.
Mit der Entscheidung des EZB-Rats vom 21. Juli 2022, die Zinsen um sogar 0,5 Prozent zu erhöhen, versuchte Christine Lagarde die Fehler der Vergangenheit zu relativieren und ihren guten Willen zu demonstrieren, nunmehr die Inflation auch zinspolitisch rigoros zu bekämpfen. Dies wird ihr nicht gelingen, denn die EZB bewegt sich seit geraumer Zeit hinter der Zinskurve und hechelt der Inflation nur noch hinterher. Ihre Entscheidung für einen ersten Zinsschritt in Höhe von 50 Basispunkten dürfte daher auch nur als ein Bemühen um Sedierung des immer kritischer werdenden Fachpublikums anzusehen sein. Intern darf man vermuten, dass man den Kritikern der laschen Geldpolitik ihr Ja zum „Transmission Protection“ Instrument dadurch abgerungen hat.
Denn die einstimmige Entscheidung des EZB-Rates, ein „Transmission Protection“ Instrument (TIP) einzuführen, ist die eigentlich Zäsur, über die die Medien wenig berichten. Unter dem Vorwand, die Transmission der Geldpolitik sicherzustellen, sollen mit diesem Ad-hoc-Aufkaufprogramm insbesondere in den Staatsschuldenmärkten solche Länder gestützt werden, die sich „ungerechtfertigten“ Zinserhöhungen gegenüber sehen.
Die – im Übrigen sehr unklaren – Merkmale des Programms wurden erst nach der Pressekonferenz von Frau Lagarde schriftlich dem Publikum mitgeteilt. Anscheinend war die Angst, dass sich die EZB-Präsidentin bei den technischen Details verheddern würde, zu groß. Dabei kommt es in der Zukunft mit Sicherheit gar nicht auf die Erfüllung der Zulässigkeitskriterien für das Programm im Einzelnen an. Denn schon in der Vergangenheit hat sich die EZB wenig um Regeln geschert. Lagarde verlangt auch für das TPI, genauso wie für die Wiederanlage von PEPP und PSPP, diskretionäre Beurteilungsspielräume. Neben ihrem Lieblingswort „discretionary“ gibt es noch die große Präferenz für den „flexiblen“ Einsatz der Wiederanlage beim PEPP und PSPP – will sagen: Mit den Beträgen aus der Rückzahlung holländischer Anleihen können in Zukunft italienische Anleihen neu erworben werden. Damit postuliert die EZB-Präsidentin die Freiheit vom Recht. Man nennt das Diktatur.
Mit dem TPI ist die EZB definitiv und für alle Welt sichtbar aus dem Maastricht-Modell ausgestiegen. Die Disziplinierung von Schuldnerstaaten durch die Märkte ist damit beendet und eine englische Wochenzeitschrift titelt zutreffend, dies sei ein EZB-Masterplan, um die Märkte zu manipulieren. Dies ist angesichts der Ungeniertheit, mit der Lagarde sich im Widerspruch zu auch grundlegenden Regeln der EU-Verträge setzt, fast noch harmlos formuliert. Dass aus der Bundesbank und auch aus anderen stabilitätspolitisch ähnlich orientierten Zentralbanken des Euro-Systems gar kein Widerspruch zum TPI kommt, lässt Schlimmstes befürchten. Obschon Christine Lagarde ihre fachlichen Defizite kaum noch verheimlichen kann, scheint sie das manipulative Geschick zu haben – getragen von den Hochschuldenländern –, ihre Kollegen aus den Niederlanden, Österreich, Deutschland, Finnland an die Wand zu spielen.
Jedenfalls scheint die Öffentlichkeit das vergessen zu haben, was die EZB-Präsidentin am 12. März 2020 erklärt hatte:
„Es ist nicht unsere Aufgabe, die spreads zu eliminieren. Dies ist nicht die Aufgabe und nicht die Mission der EZB.“
Doch der Präsident der Deutschen Bundesbank, Dr. Joachim Nagel, nickt zu alledem und kuscht vor Frankreich. Macht er sich um sein Bild in der Geschichte keine Sorgen? Wenn es so weitergeht, wird er als Konsens-Null historisch gewürdigt werden.