Eine Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen ist grundsätzlich mit dem EU-Recht vereinbar, sofern diese Daten keine genauen Rückschlüsse auf das Privatleben einer Person zulassen. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) heute entschieden.
Bereits in älteren Urteilen hat der Europäische Gerichtshof zwischen Telekommunikations- und Standortdaten sowie IP-Adressen unterschieden. Diese Tendenz setzt sich nun fort. Denn in den nun verhandelten Fällen ging es nicht um schwere Kriminalität oder die nationale Sicherheit, sondern Urheberrechtsverletzungen.
Die französische Urheberrechtsbehörde Hadopi sammelt IP-Adressen in Peer-to-Peer-Netzwerken von Nutzern, die urheberrechtlich geschützte Werke bereitstellen. Die Daten werden dann bei Internet-Providern mit Identitätsdaten abgeglichen. Bürgerrechtsorganisationen hatten gegen dieses Vorgehen geklagt – und verloren.
IP-Adressen sammeln ist möglich
Eine „allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von IP-Adressen“ stellt laut der Mitteilung des EuGHs „nicht zwangsläufig einen schweren Eingriff in die Grundrechte dar“. Zulässig ist demnach eine Speicherpflicht für Internet-Provider, wenn in einem nationalen Gesetz festgeschrieben ist, dass verschiedenen Kategorien personenbezogener Daten bei der Speicherung wirksam und strikt getrennt werden. Das gilt insbesondere für Identitätsdaten.
Für den Abruf der Daten bedeutet das: Wenn bei Ermittlungen in einer Strafsache eine IP-Adresse registriert wird, müssen die Provider – sofern ein entsprechendes Gesetz existiert – die Identitätsdaten zur jeweiligen IP-Adresse herausgeben. Weitere Informationen wie die von der jeweiligen IP-Adresse besuchten Webseiten sind aber tabu.
Wenn mit den IP-Adressen nur ein Nutzer identifiziert werden soll, ist „eine vorherige Kontrolle des Zugangs durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle nicht erforderlich, sofern der mit dem Zugang verbundene Grundrechtseingriff nicht als schwerwiegend eingestuft werden kann“. Anders sieht es aus, wenn im Verlauf eines Verfahrens noch weitergehende Informationen gesammelt werden, die Rückschlüsse auf das jeweilige Privatleben zulassen. Dann muss ein Gericht den Zugang kontrollieren.
Bürgerrechtler kritisieren Wende in der Rechtsprechung
Bürgerrechtlicher reagieren auf das Urteil enttäuscht und besorgt, berichtet Netzpolitik.org. La Quadrature du Net, die an der Klage beteiligt waren, bezeichnen es als Trendwende. Der Zugang zu IP-Adressen werde nun nicht mehr von Haus aus als schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte bewertet. Somit sei nun ein „massenhafter, automatisierter Zugriff auf IP-Adressen genehmigt“, bei dem die Identität einer Person mit Kommunikationsdaten verknüpft werde. Obendrein sei der Zugriff selbst bei Bagatelldelikten möglich. Das ebne den Weg zur Massenüberwachung.
Bei dem Urteil handelt es sich um eine Vorabentscheidung. Französische Gerichte hatten also beim EuGH angefragt, wie in diesem Fall das EU-Recht auszulegen ist. Die finalen Urteile der französischen Gerichte folgen noch.
Deutschland streitet ohnehin schon um IP-Vorratsdatenspeicherung
Auswirkungen dürfte das Urteil auf die Gesetzesinitiativen in Deutschland haben. Beim Telekommunikations- und Standortdaten hat sich die Bundesregierung auf das Quick-Freeze-Verfahren verständigt, bei dem Daten nicht anlasslos und allgemein gespeichert, sondern nur bei Bedarf erfasst werden. Über den Umgang mit IP-Adressen streiten aber das Bundesjustizministerium unter Marco Buschmann (FPD) und das Bundesinnenministerium unter Nancy Faeser (SPD).
Die Sicherheitsbehörden wollen die IP-Adressen, Buschmann lehnt entsprechende Vorstöße – bislang auch mit Verweis auf die EuGH-Urteile – ab. Derweil hatte die CDU/SPD-Landesregierung aus Hessen einen Gesetzentwurf im Bundesrat eingebracht, der eine IP-Vorratsdatenspeicherung vorsieht.