Dialog statt Psychopharmaka. Körperliche Aktivität und künstlerische Betätigung zum Ausgleich. Norwegen ist uns bereits in vielen Dingen meilenweit voraus. Ob es um die Elektromobilität, das Bildungssystem oder eine gesündere Work-Life-Balance geht – Norwegens Politik zeigt großen, nachhaltigen Einsatz, wenn es um das Wohl der Bevölkerung geht. Mit Erfolg. Laut Studien und dem „World Happiness Report“ leben in Norwegen die glücklichsten Menschen der Welt.
Doch auch, wem es einmal nicht so gut geht, hat in Norwegen gute Chancen. Seit November 2015 ist das Land nämlich auch auf dem Gebiet der Behandlung psychisch erkrankter Menschen Pionier.
Das norwegische Gesundheitsministerium startete als erstes Land weltweit in vier regionalen Gesundheitszentren die Initiative der Behandlung psychisch kranker Mensch ohne Psychopharmaka. „Behandlung ohne Medikamente“ – so steht es auf dem Schild geschrieben, welches die Eingangstür ziert.
Die kleine Station mit sechs Betten in einer psychiatrischen Klinik im abgelegenen Städtchen Åsgård, 215 Meilen nördlich vom arktischen Polarkreis entfernt, zeigt stolz, dass hier Probleme gelöst und nicht in Chemie ertränkt werden. Die Klinik, die bis vor kurzem noch geschlossen war, empfängt nach umfangreichen Umbaumaßnahmen nun erstmals wieder Patienten.
Patienten sollen 100% frei von Medikamenten leben
Die Station wendet sich mit dem Programm „Behandlung ohne Medikamente“ an psychisch erkrankte Menschen, die ihre Behandlung selbst bestimmen und Abstand vom pharmazeutischen Weg nehmen wollen, den die westliche Schuldmedizin nur zu gern für fast jede Erkrankung wählt, obgleich physisch oder psychisch. Dafür müssen die Patienten nicht schon vor Aufnahme frei von Psychopharmaka sein. Sie werden dort von einem multiprofessionellen Team bei dem Entzug von jeglichen Betäubungsmitteln unterstützt.
„Es ist eine neue Art des Denkens“, sagt Merete Astrup, die Leiterin der medikamentenfreien Station. „Vorher, wenn Patienten Hilfe gesucht haben, war immer das, was das Krankenhaus wollte vordergründig, nicht das, was die Patienten wollten. Wir haben den Patienten gesagt, was das Beste für sie sei. Jetzt fragen wir sie: ‘Was wollen Sie wirklich?’ und die Patienten können selbst entscheiden und sagen ‘Ich bin frei; ich entscheide!’“
Ärzte gehen an die Ursache der Krankheiten
Anstatt die Symptome der psychischen Erkrankung mit Psychopharmaka zu betäuben und zu unterdrücken, wollen die behandelnden Ärzte und Therapeuten der Station die Ursache der Erkrankung finden und behandeln, um dem Patienten so eine bestmögliche Heilungschance zu ermöglichen. Dafür setzen die Spezialisten auf ein vielfältiges Therapieprogramm.
Körperliche Aktivität und künstlerische Betätigung stehen hier an der Tagesordnung, um den Patienten zu einem strukturierten Alltag zu verhelfen, der ihnen Halt und Sicherheit gibt. An erster Stelle steht jedoch der Dialog. Der Austausch und das Miteinander werden auf der Station groß geschrieben, denn nur so haben die Patienten das Gefühl, wirklich die Gestalter ihrer Behandlung zu sein. Nur durch das Wiedererlangen der Kontrolle über das eigene Leben ist eine sanfte Wiedereingliederung in die Gesellschaft möglich.